Moskau/Kiew (Reuters) - Wenige Tage vor der Präsidentschaftswahl ist Russland verstärkt von der Ukraine aus unter Beschuss geraten.
Das ukrainische Militär überzog Russland am Dienstag mit einem seiner größten Drohnen- und Raketenangriffe seit Moskau vor mehr als zwei Jahren den Krieg zwischen den beiden Nachbarn losgetreten hatte. Schwer beschädigt wurde unter anderem eine große Ölraffinerie. Zudem wurden Gefechte aus dem Grenzgebiet gemeldet. Bewaffnete Gruppen, die sich nach eigener Darstellung aus kremlfeindlichen Russen zusammensetzen, erklärten, dass sie die Grenze von der Ukraine aus durchbrochen hätten. Das russische Militär widersprach: Es habe die Vorstöße in der Nacht abwehren und den Angreifern schwere Verluste zufügen können.
Die Drohnen-Angriffswelle begann nach russischen Angaben in der Nacht und wurde im Laufe des Tages kontinuierlich fortgesetzt. Mehrere Regionen waren demnach betroffen, darunter Belgorod, Kursk, Brjansk, Tula und Oryol, aber auch die Hunderte Kilometer von der ukrainischen Grenze entfernte Oblast Leningrad und der Großraum Moskau. 25 Drohnen seien abgeschossen worden. Ziel waren offenbar wie schon in der Vergangenheit bei ähnlichen Angriffen insbesondere Einrichtungen der Energieinfrastruktur. So geriet lokalen Behörden zufolge eine wichtige Raffinerie in Brand. Laut Industriekreisen musste mindestens die Hälfte der Produktion gestoppt werden.
Für den russischen Präsidenten Wladimir Putin kommt so eine Nachricht zur Unzeit. Vom 15. bis 17. März findet in seinem Land die Präsidentschaftswahl statt. Auch wenn seine Wiederwahl angesichts der unterdrückten Opposition als gesichert gilt, sind gerade Spritpreise ein sensibles Thema in der Öffentlichkeit. Erst am 1. März wurde ein sechsmonatiges Benzin-Exportverbot verhängt.
OFFENBAR SCHWERE KÄMPFE IM GRENZGEBIET
Neben den Drohnenangriffen schlugen entlang der russischen Westgrenze auch bewaffnete Gruppen von der Ukraine aus in der Nacht zu. Sie nahmen russischen Angaben zufolge in den Regionen Belgorod und Kursk zivile Ziele unter Beschuss. "Von Panzern und gepanzerten Kampffahrzeugen unterstützte ukrainische Terror-Formationen versuchten, gleichzeitig in das Territorium der Russischen Förderation einzudringen", erklärte das Verteidigungsministerium in Moskau. Es sei jedoch gelungen, die Angreifer abzuwehren. Die Nachrichtenagentur Tass meldete unter Berufung auf den Inlandsgeheimdienst FSB, russische Streitkräfte hätten 100 Menschen getötet und mehrere gepanzerte Fahrzeuge zerstört. In der Stadt Kursk stellten Schulen nach den Angriffen laut einer Agenturmeldung auf Onlineunterricht um.
Mindestens zwei Gruppen reklamierten die Aktionen für sich: die Legion Freiheit für Russland und das Sibirische Bataillon. Beide setzen sich nach eigenen Angaben aus kremlfeindlichen Russen zusammen. Sie erklärten, dass sie mehrere grenzübergreifende Vorstöße gestartet hätten. "Wir werden uns unser Land Zentimeter für Zentimeter zurückholen", hieß es in einer Mitteilung der Legion, die zudem Bezug auf die anstehende Wahl in Russland nahm: "Das Volk wird wählen, wen es will - nicht wen es muss. Die Russen werden frei leben."
Die Führung in Moskau bezeichnet die Gruppen als Marionetten des ukrainischen Militärs und des US-Geheimdienstes CIA. Ein Sprecher des ukrainischen Militärgeheimdienstes sagte dagegen, dass die Gruppen ihre Operation unabhängig von der Ukraine auf russischem Territorium durchführten. Zudem sei auch eine dritte Gruppe beteiligt, das Russische Freiwilligenkorps. Dieses hat wie auch die Legion bereits früher grenzüberschreitende Einsätze für sich reklamiert.
Unabhängig überprüfen ließen sich die Angaben nicht.
(Bericht von Guy Faulconbridge, Lidia Kelly und Max Hunder. Geschrieben von Christian Rüttger, redigiert von Ralf Bode. Bei Rückfragen wenden Sie sich bitte an unsere Redaktion unter berlin.newsroom@thomsonreuters.com)