Brüssel (Reuters) - Die EU-Staaten haben gegen den Widerstand Deutschlands das umstrittene Lieferkettengesetz doch noch beschlossen.
Eine Mehrheit von 15 Mitgliedstaaten stimmte der Vorlage am Freitag zu, wie die belgische Ratspräsidentschaft in Brüssel mitteilte. In der Bundesregierung hatte die FDP ihr Veto gegen das Gesetz eingelegt, weshalb sich Deutschland bei der Abstimmung enthalten musste, was wie ein Nein wirkt. Italien rückte jedoch von seiner bisherigen Ablehnung ab, so dass ohne Deutschland die Mehrheit stand. In der Richtlinie werden europäische Firmen verpflichtet, Menschenrechte und Umweltstandards auch bei ihren Lieferanten sicherzustellen. Bedenken hatte die FDP zudem gegen die EU-Verpackungsverordnung, mit der Müllberge reduziert werden sollen. Hier lenkten die Liberaldemokraten jedoch ein und machten den Weg für eine deutsche Zustimmung und damit für das Vorhaben frei.
LINDNER ZEIGT SICH ENTTÄUSCHT
Bundesfinanzminister Christian Lindner zeigte sich enttäuscht, dass die Lieferketten-Richtlinie nun doch kommt. Sie bedeute ein Übermaß an Bürokratie. "Die Situation der deutschen und der europäischen Wirtschaft ist bekannt", sagte der FDP-Chef. "Hier haben wir uns nicht durchsetzen können." Aber der Widerstand sei nicht umsonst gewesen. EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen habe wesentlich abrüsten müssen bei ihren Plänen. "Dennoch wäre es besser gewesen, auf diese Richtlinie in dieser Form ganz zu verzichten", sagte Lindner.
Ganz anders fiel die Reaktion von Arbeitsminister Hubertus Heil (SPD) aus, der lange für die Richtlinie in der Regierung gestritten hatte. Er freue sich, dass eine gemeinsame europäische Lösung für faire Lieferketten gefunden sei. "Das ist gut für die Menschenrechte und die deutsche Wirtschaft, denn dadurch schaffen wir faire Wettbewerbsbedingungen für alle Unternehmen in Europa", sagte der SPD-Politiker
Der Bundesverband der Deutschen Industrie (BDI) widersprach umgehend: "Die Zustimmung zum EU-Lieferkettengesetz ist ein weiterer Rückschlag für Europas Wettbewerbsfähigkeit und schafft neue Hindernisse für Versorgungssicherheit und Diversifizierung der europäischen Wirtschaft", kritisierte BDI-Präsident Siegfried Russwurm. Es sei ein beispielloses Vorgehen von EU-Parlamentariern und belgischer Ratspräsidentschaft das Vorhaben in Hinterzimmern durchzudrücken.
VERPACKUNGSVERORDNUNG KANN KOMMEN
Anders als bei der Lieferketten-Richtlinie haben die FDP-Ministerien nach einer Reihe von Krisentreffen ihren Widerstand gegen die EU-Verpackungsverordnung aufgegeben. Mit dieser sollen die Müllmengen in der EU deutlich reduziert werden, die auch durch den steigenden Versand von Waren im Online-Handel entstehen. Auch hier hatten FDP-Minister Regierungskreisen zufolge zuviel Bürokratie und Belastung für die Wirtschaft beklagt. Letztlich gaben sie aber ihren Widerstand auf und die Botschafter der Mitgliedsstaaten stimmten dem Vorhaben am Freitag in Brüssel zu. Deutschland gibt nun lediglich eine Protokollerklärung ab.
Der Rat als Vertretung der Staaten, die Kommission und das EU-Parlament hatten sich auf einen Kompromiss bei den Vorschriften bereits geeinigt. Ohne das Ja Deutschlands wäre eine Mehrheit aber auch hier bei der abschließenden Abstimmung unsicher gewesen.
Um die Müllmengen in Europa zu mindern, sollen mehr Mehrweg-Verpackungen oder solche, die recycelt werden können, zum Einsatz kommen. So sieht die Verordnung Mehrweg-Mindestquoten etwa bei Industrieverpackungen vor, die über die Jahre erhöht werden sollen. Einweg-Verpackungen werden zu großen Teilen nach 2030 komplett verboten. Dies sei eine erhebliche Ausweitung gegenüber dem Ursprungsvorschlag der Kommission, beklagten Verbände der Verpackungs- und Ernährungsindustrie, in einem Brief an das Umweltministerium, der Reuters vorliegt.
Allerdings ist es nahezu unmöglich, einen einmal gefundenen Kompromiss zwischen Rat als Vertreter der Staaten, dem EU-Parlament und der Kommission wieder aufzuschnüren. Eine Enthaltung Deutschlands hätte ein komplettes Scheitern des Vorhabens auslösen können. Umweltministerin Steffi Lemke (Grüne) hatte das "fahrlässig" genannt.
(Bericht von Markus Wacket, Philip Blenkinsop, Reuters TV; redigiert von Christian Götz. Bei Rückfragen wenden Sie sich an berlin.newsroom@tr.com)