Berlin (Reuters) - Angesichts der absehbaren EZB-Zinswende bewerten Börsianer die Konjunkturaussichten in Deutschland fast so gut wie vor dem Ukraine-Krieg vor rund zwei Jahren.
Das Barometer für die Einschätzung in den kommenden sechs Monaten stieg im März um 11,8 Punkte auf plus 31,7 Zähler und damit das achte Mal in Folge, wie das Mannheimer ZEW am Dienstag zu seiner Umfrage unter 166 Analysten und Anlegern mitteilte. Von der Nachrichtenagentur Reuters befragte Ökonomen hatten nur mit einer leichten Verbesserung gerechnet. "Die Konjunkturerwartungen für Deutschland steigen deutlich", erklärte ZEW-Chef Achim Wambach.
Im Gegensatz dazu hat sich die Einschätzung der gegenwärtigen konjunkturellen Lage kaum verändert. Sie stieg um 1,2 Punkte auf minus 80,5 Zähler. "Die Erwartungen marschieren, ohne dass die Lage hinterherkommt. Tatsächlich begräbt die schlechte Lagebeurteilung weiterhin die Konjunkturhoffnungen", sagte Chefökonom Alexander Krüger von Hauck Aufhäuser Lampe.
"Die deutsche Wirtschaft scheint die Talsohle zu durchlaufen", betonte Chefvolkswirt Thomas Gitzel von der VP Bank in Liechtenstein. Die ZEW-Konjunkturerwartungen geben demnach Anlass zur Hoffnung, dass die Wirtschaft im Sommer wieder besser läuft. Das ändere aber nichts daran, dass sie im laufenden Quartal erneut schrumpfen könnte - nach einem Rückgang im vierten Quartal 2023 um 0,3 Prozent, sagte Gitzel.
ZINSWENDE IM JUNI?
Nach der Rezession 2023 wird sich die deutsche Wirtschaft dieses Jahr voraussichtlich kaum besser schlagen. Führende Forschungsinstitute erwarten nur noch ein Mini-Wachstum. Und das DIW Berlin rechnet gar mit einer Stagnation. Dämpfend auf die Wirtschaft wirkt unter anderem die von der EZB betriebene Hochzinspolitik. Die Europäische Zentralbank (EZB) wird laut ihrem Vizechef Luis de Guindos allerdings im Juni in der Lage sein, über eine Zinssenkung zu beraten. Damit reiht sich der Stellvertreter von Notenbankchefin Christine Lagarde in die Riege von Währungshütern ein, die die Sitzung des EZB-Rats am 6. Juni für die Zinswende ins Spiel gebracht haben.
Mehr als 80 Prozent der vom ZEW befragten Börsianer gehen davon aus, dass die EZB in den kommenden sechs Monaten die Zinsen senkt. "Dies könnte eine Erklärung für die optimistischeren Erwartungen für die deutsche Baubranche sein", erläuterte der ZEW-Präsident. Und der Exportsektor profitiere von den gestiegenen Konjunkturerwartungen für China sowie den gefallenen Wechselkurserwartungen für den Dollar zum Euro.
Nach einer Serie von zehn Zinsanhebungen, die im Sommer 2022 startete, hat die EZB nunmehr in den jüngsten vier geldpolitischen Sitzungen die Zinsen konstant gehalten. Die Inflation in der Euro-Zone ist inzwischen deutlich gesunken und lag zuletzt im Februar noch bei 2,6 Prozent. Das ist nicht mehr weit entfernt von der EZB-Zielmarke von zwei Prozent.
(Bericht von Reinhard Becker, Mitarbeit Klaus Lauer, Frank Siebelt - Bei Rückfragen wenden Sie sich bitte an unsere Redaktion unter berlin.newsroom@thomsonreuters.com)