(Reuters) - Russland sieht sich aufgrund der Intervention des Westens an der Seite der Ukraine "im Krieg" mit seinem Nachbarland.
Damit ändert die Führung in Moskau ihre Wortwahl - bislang war stets die Rede von einer speziellen Militäroperation - und will die Bevölkerung vermutlich auf eine längern und härteren Kampf einstellen. Russland könne nicht zulassen, dass an seinen Grenzen ein Staat existiere, der sich bereit gezeigt habe, jede Methode anzuwenden, um die Kontrolle über die Krim zu übernehmen, sagte der Sprecher des Präsidialamtes in Moskau, Dmitri Peskow, am Freitag. "Wir befinden uns im Kriegszustand", sagte Peskow der russischen Publikation "Argumente und Fakten". "Ja, es begann als eine spezielle Militäroperation, aber sobald diese Gruppe gebildet wurde, als der kollektive Westen auf der Seite der Ukraine daran teilnahm, wurde es für uns zu einem Krieg." Er sei davon überzeugt, ergänzte Peskow. "Und das sollte jeder verstehen, aus innerer Motivation."
Peskow ergänzte, dass Russland seine neuen Gebiete vollständig befreien müsse, um die Sicherheit der Menschen dort zu gewährleisten. Er bezog sich auf die vier Oblaste Luhansk, Donezk, Saporischschja und Cherson im Osten und Süden der Ukraine, die die russischen Truppen zumindest zum Teil kontrollieren und die im September 2022 annektiert wurden. Die Halbinsel Krim, auf der die russische Schwarzmeerflotte seit jeher ihren Stützpunkt hat, hatte Russland bereits 2014 annektiert. Die Regierung in Kiew spricht dagegen von Landraub und will nicht eher ruhen, bis die russischen Soldaten vollständig vertrieben sind - auch von der Krim.
Von Krieg spricht Peskow nicht einmal eine Woche nach der Präsidentenwahl, in der Wladimir Putin für sechs weitere Jahre bestätigt wurde. Der Schritt folgt zudem dem vermutlich größten russischen Angriff auf die ukrainische Energieinfrastruktur, den die Regierung in Moskau als Vergeltung für entsprechende ukrainische Attacken bezeichnet hat. All das scheint zu signalisieren, dass Russland sich auf eine noch längere Konfrontation mit der Ukraine und ihren Verbündeten, allen voran den USA, einlässt. Zudem wird den Behörden in Russland bei Anordnungen mehr Spielraum gegenüber der eigenen Bevölkerung gegeben, zum Beispiel für die Ankündigung einer weiteren Mobilmachung von Soldaten.
"Jetzt ist es offiziell: Die SMO (Special Military Operation) wird als Krieg anerkannt", sagte Tatiana Stanovaya, Gründerin des Analyseunternehmens R.Politik, mit Blick auf die so bezeichnete spezielle Militäroperation. "Natürlich ist die SMO de facto längst zu einem Krieg geworden. Aber das ist eine gewisse psychologische Grenze, jenseits derer andere Forderungen sowohl an die Bevölkerung als auch an die Eliten gestellt werden können als während der SMO."
Peskow selbst stellte später vor der Presse klar, dass Russlands Vorgehen in der Ukraine im eigenen Land rechtlich immer noch als "spezielle Militäroperation" und nicht als Krieg eingestuft werde. "Aber de facto ist es für uns zu einem Krieg geworden, da der kollektive Westen seine Beteiligung an dem Konflikt immer direkter steigert."
Der Begriff Krieg wurde von der russischen Führung lange gemieden. Die Bevölkerung durfte - unter Androhung von Strafe - den Ausdruck nicht verwenden. Die "Spezialoperation" sollte den Eindruck vermitteln, es handele sich um eine rasche und zeitlich begrenzte militärische Intervention. Der Krieg dauert aber bereits mehr als zwei Jahre, und die russischen Truppen haben massive Verluste erlitten.
(Bericht von: Andrew Osborne, geschrieben von Sabine Ehrhardt.; Redigiert von Hans Busemann; Bei Rückfragen wenden Sie sich bitte an unsere Redaktion unter berlin.newsroom@thomsonreuters.com (für Politik und Konjunktur) oder frankfurt.newsroom@thomsonreuters.com (für Unternehmen und Märkte)