- von Francois Murphy und Balazs Koranyi
Wien (Reuters) - Die Europäische Zentralbank (EZB) besitzt laut Österreichs Notenbank-Chef Robert Holzmann erst im Juni die erforderliche breite Datenbasis, um über eine erste Zinssenkung zu entscheiden.
Dazu zählten wichtige Daten zur Entwicklung der Löhne und zur Inflation im Euroraum, sagte Holzmann in einem am Mittwoch veröffentlichten Interview der Nachrichtenagentur Reuters. "Wenn die Daten es zulassen, wird eine Entscheidung getroffen." Grundsätzliche Einwände gegen eine Lockerung der Geldpolitik im Juni habe er nicht. "Der April ist nicht auf meinem Radarschirm, weil wir zu wenig harte Daten haben, um eine solche Entscheidung zu treffen."
Die nächsten Zinssitzungen der EZB sind am 11. April und am 6. Juni. Am 12. Juni entscheidet die US-Notenbank Federal Reserve über ihr weiteres Vorgehen nach langer Hochzinsphase. "Wir sind definitiv unabhängig von der Fed und treffen unsere eigenen Entscheidungen", sagte Holzmann. Er wies allerdings auf Untersuchungen hin, nach denen der Effekt einer EZB-Zinssenkung geringer ausfalle, sollte auf der anderen Seite des Atlantiks die Fed anders geldpolitisch vorgehen. Daher sei es nützlich aber keine Notwendigkeit, wenn die Fed voranschreite. "Das heißt, wenn die Daten bis Juni ein starkes Umfeld für eine Senkung zeigen, eine Woche bevor die Fed ihre eigene Entscheidung trifft, dann werden wir es ziemlich wahrscheinlich tun und hoffen, dass die Fed nachzieht."
In den USA laufe die Wirtschaft gut, der Arbeitsmarkt sei nach wie vor sehr angespannt, und die zugrundeliegende Inflation bleibe klar über zwei Prozent. "Die USA haben also einen guten Grund, vorsichtig zu sein." In der Euro-Zone ist Holzmann zufolge die Wirtschaftsdynamik hingegen viel geringer. Dies sei auch einer der Gründe, die es der EZB ermöglichten, die Zinswende schneller einzuleiten. Zuletzt lag in der 20-Ländergemeinschaft die Teuerungsrate bei 2,6 Prozent. Das ist nicht mehr weit entfernt von der Zielmarke von zwei Prozent, die die EZB als optimales Niveau für die Wirtschaft anstrebt.
DEBATTE ÜBER MINDESTRESERVE FÜR HOLZMANN WEITER OFFEN
Die jüngsten Prognosen der EZB-Volkswirte vom März gehen davon aus, dass sich die Inflation im Euroraum von 5,4 Prozent 2023 auf 2,3 Prozent in diesem und dann auf 2,0 Prozent 2025 abschwächen wird. "Es ist möglich, dass sich die Inflation sogar besser entwickelt, aber mal sehen," sagte Holzmann. Ein wichtiger Faktor sei die Entwicklung der Löhne. "Die Löhne sind definitiv ein Risiko mit Blick auf die Inflation, aber wir haben auch gesehen, dass Unternehmen, wenn ihre Preissetzungsmacht abnimmt, niedrigere Preise akzeptieren müssen."
Die Diskussion um eine Erhöhung der Mindestreserve-Anforderungen für Geschäftsbanken ist für Holzmann noch nicht abgeschlossen. "Ich denke, es ist nicht akzeptabel, dass die derzeitige Struktur die Finanzergebnisse der Zentralbanken stark belastet." Geldhäuser im Euro-Raum sind verpflichtet, einen bestimmten Geldbetrag unverzinst auf ihrem Konto bei der jeweiligen nationalen Notenbank zu halten. Aktuell liegt diese unverzinste Mindesteinlage bei einem Prozent der Kundeneinlagen. Holzmann zufolge wurden in Österreich 2023 drei bis vier Milliarden Euro an Transferzahlungen über den Einlagensatz an das Bankensystem geleistet. Dafür gebe es keine wirtschaftliche Begründung. "Die Frage ist also, was wir dagegen tun können." Aus seiner Sicht sollte deshalb die unverzinste Mindestreserve angehoben werden auf fünf bis zehn Prozent der Kundeneinlagen.
(Bearbeitet von Frank Siebelt, redigiert von Ralf Bode. Bei Rückfragen wenden Sie sich bitte an unsere Redaktion unter berlin.newsroom@thomsonreuters.com)