Vilnius/Berlin (Reuters) - Aus der Führungsetage der Europäischen Zentralbank (EZB) kommen unterschiedliche Signale zum weitere Kurs nach einer wahrscheinlichen Zinswende im Juni.
Während der Chef der litauischen Notenbank, Gediminas Simkus, den Blick auf eine mögliche weitere Lockerung im Juli lenkte, mahnte sein slowakischer Kollege Peter Kazimir zur Umsicht. Das EZB-Ratsmitglied betonte am Montag, es gelte die Maxime "Flexibilität", um auf alle Eventualitäten reagieren zu können. Mit einer Zinswende sei keine Festlegung auf weitere Lockerungsschritte verbunden.
Man müsse weiter auf Störfeuer gefasst sein: Zu den potenziellen Risiken gehörten ein plötzlicher Anstieg der Inflation, ein weltwirtschaftlicher Abschwung oder auch eine bedeutende Veränderung des Konsumentenverhaltens: "Klar ist: Wir legen uns definitiv nicht vorab auf einen Pfad nach dem Juni fest", betonte Kazimir. An den Finanzmärkten wird derzeit mit drei Zinssenkungen der Europäischen Zentralbank im laufenden Jahr gerechnet: Dabei wird auf eine Abfolge von Schritten im Juni, September und Dezember spekuliert.
"DREI SENKUNGEN KONSERVATIVE SCHÄTZUNG"
Laut EZB-Ratsmitglied Simkus könnten es aber auch mehr als drei Senkungen im Jahr werden - so etwa, wenn auch im Juli eine geldpolitische Lockerung kommen sollte: "Drei Zinssenkungen sind eine konservative Schätzung", sagte der Litauer. Auf wirtschaftlicher Ebene rechne er bis Juni nicht mit Überraschungen, die gegen eine Senkung sprächen. Doch geopolitische Entwicklungen, etwa "eine Eskalation des Iran-Israel-Konflikts", könnten die Entscheidung noch beeinflussen.
Die Inflation dürfte aus Sicht von EZB-Chefvolkswirt Philip Lane auf kurze Sicht um das derzeitige Niveau herum schwanken. Man müsse sich darüber im Klaren sein, dass die aktuelle Phase rückläufiger Inflationsraten zwangsläufig "holprig" verlaufe. Insbesondere die Schwankungen der Energiepreise im Jahr 2023 würden sich statistisch auf die monatlichen Teuerungsraten im laufenden Jahr auswirken. Auch wenn der Weg hin zum Inflationsziel der EZB von zwei Prozent holprig verlaufen sollte, werde dennoch die Annahme einer Annäherung an den EZB-Zielwert im Jahr 2025 gestützt.
Experten der EZB-Geldpolitik erwarten in der jüngst von der Zentralbank vorgelegten Umfrage - dem Survey of Professional Forecasters (SPF) - im laufenden Jahr eine durchschnittliche Teuerungsrate von 2,4 Prozent für den Euroraum, die sich 2025 und 2026 jeweils auf 2,0 Prozent verringern dürfte.
Die Teuerungsrate betrug im März 2,4 Prozent, nach 2,6 Prozent im Februar und 2,8 Prozent im Januar. Die Zielmarke der EZB von zwei Prozent, die diese mittelfristig als optimales Niveau für den Währungsraum anstrebt, rückt damit näher. Die Währungshüter fassen daher eine erste Zinssenkung für Juni ins Auge. Auf ihrer jüngsten Sitzung hielten sie den Leitzins noch auf dem Rekordwert von 4,50 Prozent und den am Finanzmarkt richtungsweisenden Einlagensatz bei 4,00 Prozent.
(Bericht von Andrius Sytas, Balazs Koranyi, Reinhard Becker. Bei Rückfragen wenden Sie sich bitte an unsere Redaktion unter berlin.newsroom@thomsonreuters.com (für Politik und Konjunktur) oder frankfurt.newsroom@thomsonreuters.com (für Unternehmen und Märkte).)