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Reform des EU-Kapitalmarktes - Klein gegen Groß auf EU-Gipfel

18.04.2024
um 15:52 Uhr

Brüssel (Reuters) - Der EU-Gipfel ringt um ein klares Bekenntnis zur Vollendung des EU-Kapitalmarktes, um mit den USA konkurrenzfähig zu werden.

Aber auf dem EU-Gipfel am Donnerstag in Brüssel zeigten sich Differenzen zwischen kleinen und großen Staaten. Während Deutschland und Frankreich nach Angaben von EU-Diplomaten gemeinsam für einen Abschluss bei der Kapitalmarkt- und Bankenunion sowie für eine Angleichung der Körperschaftssteuern kämpften, stellten sich kleinere Länder wie Irland, Estland, Malta und Luxemburg quer. Es geht dabei um die Finanzaufsicht und Unternehmenssteuern.

Am zweiten Gipfeltag diskutierten die 27 EU-Staats- und Regierungschef über die Stärkung des EU-Binnenmarktes. Der frühere italienische Ministerpräsident Enrico Letta hatte dazu Vorschläge vorgelegt. Deutschland und Frankreich unterstützen dabei, dass die europäische Finanzaufsicht gestärkt wird und die Verbriefungen ausgeweitet werden. Zudem wollen sich die Staats- und Regierungschefs laut Entwurf der Gipfelerklärung für eine rasche Verbesserung der Möglichkeiten für EU-weite Investitionen in Aktien und die Schaffung eines einfachen grenzüberschreitenden Sparprodukts für Kleinanleger einsetzen. Insgesamt soll mit der Vollendung eines EU-Kapitalmarkt- und Bankenunion mehr privates Kapital für die Umstellung der Wirtschaft auf erneuerbare Energien sowie die Digitalisierung aktiviert werden, heißt es im Entwurf.

Allerdings gibt es seit Jahren Widerstand. Irland etwa bremst bei der Angleichung der Steuersätze. Es sieht für sich die niedrigeren Sätze für Unternehmen als Wettbewerbsvorteil gegenüber großen EU-Staaten, die andere Möglichkeiten hätten, Firmen anzulocken. "Die Harmonisierung des Körperschaftssteuerrechts in der EU sollte vom Tisch genommen werden, sagte der irische Ministerpräsident Simon Harris. "Man kann eine Kapitalmarktunion machen, aber man muss es richtig machen." Eine Harmonisierung des Körperschaftssteuerrechts gehöre nicht dazu. Estlands Ministerpräsidentin Kaja Kallas äußerte sich ähnlich. Damit stellten sich beide klar gegen die etwa von Bundeskanzler Olaf Scholz geforderte Angleichung der Steuersätze.

Im übrigen schade eine zentrale EU-Aufsicht den Finanzmärkten kleinerer EU-Länder, sagte Harris. Ein EU-Diplomat sagte, es gehe nicht darum, die 27 nationalen Finanzaufsichten abzuschaffen. Sie müssten aber durch eine europäische ergänzt werden, weil einige Länder nur eine laxe Kontrolle ausübten.

Der US-Finanzmarkt gilt für Investoren als attraktiver, da er weniger komplex, aber liquider ist als der der EU mit 27 unterschiedlichen nationalen Regelungen. Die Europäische Kommission schätzt aber, dass die EU bis 2030 jährlich rund 650 Milliarden Euro an privaten Geldern benötigt, um den Übergang von fossilen Brennstoffen zu erneuerbaren Energiequellen sowie die Digitalisierung der Wirtschaft zu ermöglichen.

Bei der Finanzaufsicht zeigte sich zumindest Kallas kompromissbereit. Die Vertiefung der EU-Kapitalmarktunion dürfe nicht mit Diskussionen über Institutionen abgewürgt werden, mahnte sie. "Ich habe das Gefühl, dass es einen starken Konsens am Tisch gibt, dass wir mit dieser Kapitalmarktunion wirklich vorankommen müssen."

Die Reform ist auch in der Ampel-Koalition umstritten. So lehnten etwa die Grünen bisher einen Ausbau des europäischen Verbriefungsmarktes ab. Die FDP hat dagegen Probleme mit der ebenfalls nötigen Reform des Insolvenzrechts.

(Bericht von Andreas Rinke und Bart Meijer; redigiert von Ralf Bode. Bei Rückfragen wenden Sie sich bitte an unsere Redaktion unter berlin.newsroom@thomsonreuters.com)