Berlin (Reuters) - Aktienkurse runter, Gold- und Ölpreise rauf: Die Finanzmärkte reagieren nervös auf den Abschuss von Drohnen über der Stadt Isfahan im Zentrum Irans.
Seit Tagen wird mit einer Reaktion Israels gerechnet, nachdem das Land am Wochenende erstmals direkt von Iran angegriffen wurde - mit Hunderten Drohnen und Raketen. Warum ein Flächenbrand in der Region das Zeug dazu hat, die Weltwirtschaft auszubremsen, die Inflation wieder anzuheizen und die erwartete Zinswende zu verschieben:
WARUM STEIGEN DIE ÖLPREISE?
Iran als wichtiger Produzent innerhalb der Organisation erdölexportierender Länder (Opec) fördert derzeit mehr als drei Millionen Barrel Rohöl pro Tag. Sollte Israel die iranische Energieinfrastruktur ins Visier nehmen, könnte das die Versorgungslage auf den Weltmärkten beeinträchtigen. Allerdings verfügt die Opec selbst über mehr als fünf Millionen Barrel pro Tag an freien Produktionskapazitäten, so eine Analyse der Bank ING. Um die Nachfrage durch stark gestiegene Preise nicht zu stören, könnte das Ölkartell zumindest einen Teil dieser Reservekapazität auf den Markt werfen und so das Problem mindern. Allerdings hat der Iran für den Fall eines Konflikts bereits mehrfach damit gedroht, die für die globale Ölversorgung wichtige Straße von Hormus zu sperren. Durch die Meerenge, die den Persischen Golf mit dem Golf von Oman verbindet, muss rund ein Fünftel der weltweiten Öltransporte.
WIE STARK KÖNNTEN DIE ÖLPREISE STEIGEN?
Die Commerzbank-Ökonomen Thu Lan Nguyen und Carsten Fritsch gehen davon aus, dass der Ölpreis auch wegen der Spannungen in der zweiten Jahreshälfte auf 90 bis 95 Dollar je Fass steigen dürfte - fünf Dollar mehr als bislang angenommen. "Unserer Ansicht nach ist eine mögliche Fortsetzung eines direkten Konflikts zwischen dem Iran und Israel auf dem aktuellen Markt nicht eingepreist", warnen auch die Citi-Analysten. "Das könnte dazu führen, dass die Ölpreise je nach Art der Ereignisse auf über 100 Dollar pro Barrel ansteigen." Das Nordseeöl Brent und das US-Öl WTI verteuern sich am Freitag zeitweise um mehr als vier Prozent auf 90,75 beziehungsweise 86,28 Dollar je Fass.
WAS BEDEUTEN HÖHERE ÖLPREISE FÜR DIE INFLATION?
Der Internationale Währungsfonds (IWF) macht folgende Rechnung auf: Steigen die Ölpreise um 15 Prozent infolge eines verschärften Nahost-Konfliktes, erhöht das die weltweite Inflationsrate um 0,7 Prozentpunkt, wie IWF-Chefvolkswirt Pierre-Olivier Gourinchas vorrechnet und auf höhere Energiekosten verwies. Bislang geht der IWF davon aus, dass die globale Teuerungsrate in diesem Jahr auf 2,8 Prozent fallen wird, nachdem sie 2023 noch bei vier Prozent lag.
WAS BEDEUTET DAS FÜR DIE WELTWIRTSCHAFT?
Für die Weltwirtschaft verheißt das nichts Gutes. "Höhere Energieausgaben lasten auf der Kaufkraft privater Haushalte, was in weiterer Folge auch das gesamtwirtschaftliche Wachstum negativ beeinflusst", sagt der Chefvolkswirt der VP Bank, Thomas Gitzel. "Aber auch Unternehmen sind von höheren Kosten für Öl, Gas & Co. negativ betroffen." Gerade in Deutschland ist der private Konsum noch nicht wieder angesprungen, nachdem die stark gestiegenen Lebenshaltungskosten die Kaufkraft in den vergangenen Jahren drückten. Da er gut zwei Drittel der Wirtschaftsleistung ausmacht, ist ein Aufschwung ohne Belebung der Konsumausgaben kaum möglich. Ein länger anhaltender Ölpreisanstieg würde sich "nachteilig auf die ohnehin fragile konjunkturelle Lage in Europa auswirken", betont DZ-Bank-Ökonom Jan Holthusen.
KÖNNTE SICH DIE ZINSWENDE VERZÖGERN?
Die Europäische Zentralbank (EZB) dürfte nach Prognose von Ökonomen im Juni ihren Leitzins erstmals wieder senken, nachdem sie ihn im Kampf gegen die Inflation auf das Rekordniveau von 4,5 Prozent angehoben hat. Auch die EZB hat das signalisiert. Allerdings könne "eine Eskalation des Iran-Israel-Konflikts" die Entscheidung noch beeinflussen, warnt EZB-Ratsmitglied Gediminas Simkus. "Der verschärfte Konflikt im Nahen Osten mischt nun die Karten neu", sagt auch VP-Bank-Ökonom Gitzel. Ob die EZB im Juni die Zinsen tatsächlich senkt, sei zumindest fraglicher geworden. Auch in den USA - wo wegen der hartnäckig hohen Inflation die lange für den Sommer erwartete Zinswende ohnehin fraglich ist - könnten steigende Ölpreise für eine Verzögerung sorgen.
WIE STEHT ES UM DIE LIEFERKETTEN?
Die mit Iran verbündeten Huthi-Rebellen im Jemen griffen in den vergangenen Monaten wiederholt Frachter im Roten Meer an, um ein Ende der israelischen Kampfeinsätze gegen die radikal-islamische Palästinenser-Organisation Hamas im Gazastreifen zu erzwingen. Die schnellste Schifffahrtsroute zwischen Europa und Asien wird seither von vielen Reedereien nach wiederholten Beschusses durch die islamistische Miliz gemieden. Stattdessen wird auf die längere Strecke über das Kap der Guten Hoffnung ausgewichen, was einen Umweg und damit höhere Kosten bedeutet. Allerdings hat das die Lieferketten bislang nicht in größerem Ausmaß gestört.
Die deutsche Industrie hat aktuell kaum noch mit Materialknappheit zu kämpfen. Im März berichteten nur noch 10,2 Prozent der befragten Firmen von Engpässen, nach 14,6 Prozent im Februar, wie das Münchner Ifo-Institut bei seiner Unternehmensumfrage herausfand. Auf dem Höhepunkt der Corona-Pandemie waren es 82 Prozent. "Die Versorgung von Rohstoffen und Vorprodukten hat sich in der letzten Zeit deutlich verbessert", sagt Ifo-Umfragechef Klaus Wohlrabe. "Die Logistikbranche hat sich an die Verhältnisse im Roten Meer angepasst. Deshalb gibt es momentan weniger Probleme."
WIE SIEHT ES MIT DEN DEUTSCHEN IRAN-GESCHÄFT AUS?
Die deutschen Exporte in den Iran sind vor den kürzlich angekündigten neuen EU-Sanktionen gestiegen. Von Januar bis Februar wurden Waren im Wert von 241 Millionen Euro in die Islamische Republik geliefert und damit 22,1 Prozent mehr als ein Jahr zuvor, wie das Statistische Bundesamt ermittelte. Geliefert wurden vor allem Maschinen (80 Millionen Euro), pharmazeutische Erzeugnisse (41,7 Millionen Euro) und chemische Produkte (29,4 Millionen Euro). Die Importe sanken dagegen in den beiden ersten Monaten um 13,1 Prozent auf 41,2 Millionen Euro. Bei den Exporten belegte der Iran unter den wichtigsten deutschen Handelspartnern Rang 64 - hinter Kolumbien und vor Nordmazedonien.
Im Außenhandel mit dem Iran bestehen in der Europäischen Union (EU) starke Beschränkungen, die zuletzt im Juli 2023 wegen der iranischen Unterstützung des russischen Angriffskriegs gegen die Ukraine verschärft wurden. Die EU-Staats- und Regierungschefs haben diese Woche nach dem iranischen Angriff auf Israel eine Verschärfung beschlossen, was den deutschen Handel mit dem Land weiter drücken dürfte. 2023 wurden Waren im Wert von 1,2 Milliarden Euro in den Iran exportiert und im Wert von 245,1 Millionen Euro von dort importiert. Damit gingen bereits die Exporte um 24,2 Prozent und die Importe um 18,0 Prozent im Vergleich zu 2022 zurück.
(Bericht von Rene Wagner, redigiert von Christian Götz. Bei Rückfragen wenden Sie sich bitte an unsere Redaktion unter berlin.newsroom@thomsonreuters.com)