London (Reuters) - Das britische Parlament hat die umstrittenen Abschiebungen nach Ruanda abschließend genehmigt. Das Oberhaus gab auf Druck von Sunak seinen Widerstand auf und stimmte am späten Montagabend für das Gesetz.
Sunak hatte zuvor erklärt, er werde das Parlament zwingen, so lange wie nötig bis in die Nacht zum Dienstag zu tagen, um sein Vorhaben durchzubringen. Das Oberhaus strebte zunächst zusätzliche Schutzmaßnahmen an, die das Unterhaus wieder zurücknahm. Schließlich passierte das Gesetz ohne Änderungen. Es wird erwartet, dass es noch in dieser Woche von König Charles unterschrieben wird und damit in Kraft treten kann.
Die Vereinten Nationen riefen Großbritannien auf, das Vorhaben noch einmal zu überdenken. Asylanten nach Ruanda zu schicken, könnte Menschenrechten und dem Schutz der Personen zuwiderlaufen. Es werde weltweit ein gefährlicher Präzedenzfall geschaffen, erklärte Volker Türk, UN-Hochkommissar für Menschenrechte am Dienstag. Auch die Rechtsstaatlichkeit in Großbritannien werde ernsthaft behindert. "Die neue Gesetzgebung stellt einen weiteren Schritt weg von der langen Tradition Großbritanniens dar, Bedürftigen Zuflucht zu gewähren, und verstößt damit gegen die Flüchtlingskonvention", erläuterte Filippo Grandi, UN-Hochkommissar für Flüchtlinge in der gemeinsamen Erklärung mit Türk.
Sunak hielt an den umstrittenen Plänen fest. Nichts werde ihn davon abhalten, die Asylanten nach Ruanda zu schicken, bekräftigte er. Der Fokus liege jetzt darauf, die Flüge zu organisieren. Bereits am Montag hatte er gesagt: "Kein Wenn und Aber. Diese Flüge gehen nach Ruanda." In zehn bis zwölf Wochen könne es losgehen.
Das Vorhaben gehört zu den Kernprojekten von Sunaks konservativer Regierung. Vorgesehen ist, alle Asylbewerber, die illegal nach Großbritannien kommen, nach Ruanda zu schicken. Dort sollen sie dann Asyl beantragen. Das afrikanische Land soll im Gegenzug Geld von London erhalten. Die Regierung will damit die Einwanderung eindämmen und so eines ihrer zentralen Wahlversprechen umsetzen. In den vergangenen Jahren sind Zehntausende Migranten nach Großbritannien gekommen, viele auf der Flucht vor Kriegen und Armut in ihren Heimatländern in Asien, Afrika und im Nahen Osten. Oft nehmen sie den riskanten Weg über den Ärmelkanal in kleinen Booten. Organisiert wird die Überquerung häufig von Schleuserbanden.
TOTE BEI ÜBERQUERUNG VON ÄRMELKANAL
Am Dienstag starben mindestens fünf Menschen bei dem Versuch über den Ärmelkanal von Frankreich nach Großbritannien zu gelangen. Es seien etwa 110 Menschen auf dem überfüllten Schiff gewesen als Panik ausgebrochen sei, teilten französische Präfekturbehörden mit. "Bislang gibt es fünf Tote: drei Männer, eine Frau und ein Kind." Der Rettungseinsatz der französischen Küstenwache war bis Mittag noch nicht abgeschlossen. "Diese Tragödien müssen aufhören", sagte der britische Innenminister James Cleverly.
Kritiker halten die von Großbritannien geplanten Abschiebungen für unmenschlich und bemängeln, Ruanda sei kein sicherer Ort. Das Vorhaben könnte noch auf juristischen Widerstand stoßen. Unter anderem haben Bürgerrechtsgruppen rechtliche Schritte angekündigt.
Sunak steht unter Druck, denn in der zweiten Jahreshälfte 2024 wird ein neues Parlament gewählt und der Premier hat versprochen, "die Boote zu stoppen". In Umfragen liegen die Konservativen deutlich hinter der sozialdemokratischen Labour-Partei, die erklärt hat, dass sie den Ruanda-Plan kippen wird, sollte sie die Regierung übernehmen.
(Bericht von Sarah Young, Elizabeth Piper, Tassilo Hummel, geschrieben von Kerstin Dörr. Bei Rückfragen wenden Sie sich bitte an unsere Redaktion unter berlin.newsroom@thomsonreuters.com (für Politik und Konjunktur) oder frankfurt.newsroom@thomsonreuters.com (für Unternehmen und Märkte)