- von Alexander Ratz
Berlin (Reuters) - Die FDP gibt sich kämpferisch.
Auf ihrem Bundesparteitag am Wochenende in Berlin machten die Liberalen deutlich, dass es in Deutschland zu einer Wirtschaftswende hin zu mehr Wachstum kommen muss. Denn wirtschaftliches Wachstum, so das unermüdlich wiederholte Credo, sei die Grundlage für Freiheit, Sicherheit, Wohlstand und auch soziale Gerechtigkeit. Doch obwohl die Instrumente, die die FDP dafür umsetzen will, teils merklich den Positionen von SPD und Grünen widersprechen, ist im Verlauf des Parteitags auch deutlich geworden: Die FDP wird die Ampel-Koalition nach jetzigem Stand nicht verlassen.
"Wir sind offen für andere Vorschläge", rief FDP-Chef Christian Lindner den Delegierten in seiner Grundsatzrede am Samstag zu und ergänzte: "Für eines aber sind wir nicht offen: Dass sich nichts ändert. Denn das wäre unverantwortbar." Die im Leitantrag beschlossenen Forderungen der FDP für eine Wirtschaftswende enthalten ein Ende der abschlagsfreien Rente mit 63 und Sanktionen beim Bürgergeld für arbeitsunwillige Empfänger - beides wohl inakzeptabel für SPD und Grüne. Lindner aber bietet an, das alles könne diskutiert werden, "in der Öffentlichkeit, in der Wirtschaftswissenschaft, in der Koalition".
Und: "Wir hören übrigens gerne auch die Vorschläge von anderen an", fügte Lindner hinzu. "Wir nehmen sie gerne entgegen und erwähnen sie. Damit zähle ich die Koalition, die Opposition, die Wirtschaftsverbände und die Gewerkschaften mit ein, die Vorschläge machen können." Denn die Wirtschaftswende sei nicht ein Projekt der Freien Demokraten. "Die Wirtschaftswende muss ein Projekt dieses Landes sein", betonte der Bundesfinanzminister. "Und deshalb muss jede und jeder, jede politische, gesellschaftliche oder wirtschaftliche Kraft ihren Beitrag leisten. Wir sind bereit zu diskutieren."
"STATUS DER ABSURDITÄT"
Krawall hört sich anders an. Und dass Lindner Krawall kann, hat der 45-Jährige schon mehrfach unter Beweis gestellt, kulminiert in der Aussage beim Verlassen der Jamaika-Sondierungen im November 2017: "Es ist besser, nicht zu regieren als falsch zu regieren". Von diesem Geist war auf dem 75. Bundesparteitag der Liberalen am Samstag und Sonntag in der hippen Location "STATION" in Berlin-Kreuzberg aber nichts zu spüren. In seiner rund 70-minütigen Rede, die von den 662 Delegierten mit stehendem, langanhaltendem Applaus bedacht wurde, ging Lindner nicht auf Konfrontationskurs zur Ampel.
Nur seine Lieblingsfeindin, Bundesfamilienministerin Lisa Paus, bekam wegen der Kindergrundsicherung wieder ihr Fett weg. Die auf dem Tisch liegenden Pläne der Grünen-Politikerin liefen darauf hinaus, bis zu 5000 neue Staatsdiener einzustellen, die mit Milliarden Euro dafür sorgten, dass laut einer Studie etwa 70.000 Menschen - so viele Einwohner wie die Stadt Aschaffenburg - aus der Arbeit gingen. "Ein solches Modell hat den Status der Absurdität erreicht", bellte Lindner. Das war es aber auch schon. Keine Kritik am "Friedenskanzler" Olaf Scholz, keine Kritik am oft gescholtenen Wirtschaftsminister Robert Habeck, auch wegen jüngster Ungereimtheiten beim Atomausstieg.
Denn eines ist auch den Liberalen klar: Ein Ausstieg aus der ungeliebten Ampel würde die FDP in eine noch prekärere Lage versetzen als sie ohnehin ist. Eine Mehrheit mit CDU/CSU im Bundestag - wie es sie beim derzeit vielzitierten Sprung der Liberalen von Helmut Schmidts SPD zur Union unter Helmut Kohl 1982 gab - ist weit entfernt. Und bei einer vorgezogenen Neuwahl müssten die Liberalen laut aktueller Umfragen fürchten, den Wiedereinzug in den Bundestag zu verpassen. Es dürfte der FDP auch klar sein, dass ein Regierungsaustritt und eine damit gezeigte Untreue bei den Wählerinnen und Wählern nicht unbedingt gut ankommen würde.
"GUCKST DU SCHEISSE, FÄHRST DU SCHEISSE"
Auch FDP-Generalsekretär Bijan Djir-Sarai stellte in seiner Rede zum Abschluss des Parteitags am Sonntag klar: "Ich schätze unsere Koalitionspartner sehr." Also geht es ab Montag wieder in die Mühen der Ebene. Die Europawahl am 9. Juni ist der erste Testlauf, wie es um die FDP tatsächlich in Deutschland bestellt ist. Spitzenkandidatin Marie-Agnes Strack-Zimmermann gab sich bei ihrer Wahlkampfrede auf dem Parteitag am Samstag ebenso zahm wie Lindner. Als ihre Hauptgegnerin identifizierte sie wieder einmal EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen von der CDU. Von der Leyen habe in ihrer Amtszeit die Werte der Europäischen Union "nicht gelebt, sondern geschreddert".
Auf Umfragen würde sie ohnehin nicht allzu viel geben, betonte die 66-Jährige. Schon ihr Motorrad-Fahrlehrer habe immer gesagt: "Guckst Du scheiße, fährst Du scheiße". Damit begründete sie ihre Skepsis gegenüber Demoskopen gewohnt flapsig. Es gehe jetzt vielmehr um die Devise: "Wachsweich war gestern, klare Linie ist heute."
Für Parteienforscher Uwe Jun von der Universität Trier ist das der Schlüssel zum Erfolg: "Entscheidend für die FDP wird der Faktor Glaubwürdigkeit sein, wie glaubwürdig kann sie in dieser Koalition noch agieren?", sagt er, fügt aber hinzu: Wie das letztlich gelingen werde, das sei "die Eine-Million-Euro-Frage".
(Redigiert von Elke Ahlswede; Bei Rückfragen wenden Sie sich an berlin.newsroom@tr.com)