Liebe Leser,
vor wenigen Tagen am 16. Oktober begann in China der 20. Kongress der Kommunistischen Partei, der vom amtierenden Parteivorsitzenden Xi Jinping mit einer zweistündigen Rede eröffnet wurde. Die Wahrscheinlichkeit, dass Xi Jinping nach den Ergebnissen des Kongresses für eine dritte Amtszeit Parteichef bleiben wird, ist sehr hoch und daher ist es schon zu diesem Zeitpunkt berechtigt, seine Rede als ein Programm für die Entwicklung Chinas für die nächsten 5 Jahre zu betrachten. Genau sie wird höchstwahrscheinlich das Fundament für die Zukunftsentwicklung der Nation sowohl im sozialen, politischen, aber auch wirtschaftlichen Sinne bilden. Aus diesem Grund werfen wir heute einen ersten Blick auf die wichtigsten Aussagen des Parteivorsitzenden und versuchen herauszufinden, welche Konsequenzen die alte/neue Politik Chinas auf reale Wirtschaftsentwicklung in China und global haben könnte.
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Der Wohlstand der Nation
In dieser Hinsicht hat sich im Wesentlichen Nichts verändert: wie in den vergangenen Amtsperioden legt Xi Jinping weiterhin einen besonderen Wert auf die Entwicklung der materiellen und technologischen Basis zur Stärkung der chinesischen Wirtschaft und Steigerung des Wohlstands der Nation. Und in dieser Hinsicht sehen wir eine wirklich phänomenale und vielversprechenden Trendtendenz, wobei ein kommunistisches Land schon dazu bereit ist, kapitalistische (also Ideologie-fremde) Instrumente und Taktiken zu benutzen, um ans Ziel zu gelangen. Es ist eben unmöglich, ein sozialistisches modernes Land, ohne eine solide materielle und technologische Grundlage aufzubauen, so der Parteivorsitzende und in dieser Hinsicht hat er auf jeden Fall Recht.
Explizit betrachtet, sieht das chinesische Entwicklungsprogramm weiteres Wirtschaftswachstum vor, wobei die Größe des BIP pro Kopf "bis 2035 einen neuen, riesigen Sprung machen sollte", so Xi, Jinping. Obwohl es keine klare Definition gibt, welches Einkommensniveau ein Land als mittelentwickelt qualifizieren würde, sagen Ökonomen der UBS AG und der Macquarie Group, dass diese Aussage in Bezug auf China eine Verdoppelung des BIP und des Pro-Kopf-Einkommens bis 2035 impliziert. Dies würde eine jährliche durchschnittliche BIP-Wachstumsrate von rund 4,7 % in diesem Zeitraum erfordern, was schwer zu erreichen wäre. Und obwohl die Skepsis der Analysten vorhanden ist, sieht das mögliche Szenario anderer Analysten vor, dass die chinesische Wirtschaft bis zum Jahr 2030 mit einer Rate von 4 % bzw. 4,5 % wachsen kann und sich erst dann im Sinne des Wachstums verlangsamen wird.
Was den Wohlstand der Nation angeht, so soll China bis 2025 ein Land mit einem hohen Pro-Kopf-Einkommen werden. Nach der Berechnungsmethodik der Weltbank ist ein Land mit hohem Einkommen,- ein Land, in dem das Bruttonationaleinkommen pro Kopf das Niveau von 12.375 USD übersteigt. In China liegt der Wert derzeit trotz der schlechten Wirtschaftslage bei 10.410 USD, was wirklich zuversichtlich stimmt,- v. A. dann, wenn man bedenkt, dass China an der harten und teilweise zerstörerischen (im wirtschaftlichen Sinne) Zero-COVID-Politik festhält. Und so gelangen wir auch schon zum aktuell wichtigsten Problem der chinesischen Wirtschaft.
Die sog. Null-Toleranz-Politik für COVID-19.
Genau sie macht es zunächst sehr schwierig, ambitionierte wirtschaftliche Ziele zu erreichen. Doch dies ist lediglich die Frage des politischen Willens und somit ist es im globalen Sinne kein ernsthaftes fundamentales Problem. Ja, die aktuelle chinesische Politik lautet: "Wir stellen das Leben der Menschen an die erste Stelle und halten an einer Null-Infektions-Politik fest" und dieser Ansatz wirkt sich selbstverständlich negativ auf die Wirtschaft aus. Im Frühjahr 2022, nach massiven Lockdowns in Shanghai und anderen Großstädten, litt Chinas Wirtschaft erneut stark. Ende April sank die Industrieproduktion um rund 3 % gegenüber April 2021, die Einzelhandelsumsätze um 11 % und die Autoverkäufe fielen um ganze 48 %.
Doch was passiert, wenn sich die chinesische Führung aus irgendeinem Grund sich dafür entscheidet, die Zero-Covid-Politik aufzugeben und sich dann vollkommen auf das Wirtschaftswachstum zu konzentrieren?! Ganz genau, die Wirtschaft wird aufleben. Das beschriebene Szenario ist zu diesem Zeitpunkt zwar unwahrscheinlich, doch eine partielle Aufgabe der strengen Zero-Covid-Politik, wie z.B. in der Wirtschaftsregion Macau wäre eine plausible Vorgehensweise und genau aus diesem Grund lassen wir stark angeschlagene Casino-Stocks mit Macau-Exposure wie Las Vegas Sands (LVS), Wynn Resorts (WYNN), Melco Resorts & Entertainment (MLCO) und Sands China (A0YFEW) nicht aus den Augen.
Das technologische Sprungbrett
Und dies ist im Wesentlichen die Antwort darauf, warum China das ambitionierte Wirtschaftswachstumsziel tatsächlich erreichen könnte. Das kommunistische Land hat in den vergangenen Jahren eine sehr schnelle technologische Entwicklung durchlebt, wobei man in einigen Aspekten wie z. b. die Integration der 5G-Technologie eine führende Position eingenommen hat. Doch was hier noch nicht ganz passt, ist die Tatsache, dass man in Bezug auf die Halbleiterindustrie immer noch hinterherhinkt. Und Halbleiter und Chips sind eben der Schlüssel zum technologischen Erfolg. Genau aus diesem Grund hat China nach dem Beginn des Handelskriegs mit den Vereinigten Staaten im Jahr 2018 ein Programm namens Great Semiconductor Leap Forward ins Leben gerufen.
Im Rahmen dieses Programms wird die chinesische Regierung bis 2025 ganze 1,4 Bill. USD in die Entwicklung von High-Tech-Industrien investieren. Ja, die Covid-Pandemie machte im Großen und Ganzen den Chinesen einen Strich durch die Rechnung und hat sie stark ausgebremst. Doch der Anfang ist getan und das bisher erreichte Resultat sieht vielversprechend aus. Die Anzahl von Halbleiterkonzernen stieg bspw. von etwa 2.000 im Jahr 2010 auf 14.000 im Jahr 2020 und so ist es sehr plausibel anzunehmen, dass China schon im Jahr 2030 einen fast 25%igen Anteil am globalen Halbleitermarkt erreichen wird. Und das, ohne Berücksichtigung von Taiwan-Halbleitermanufakturen, die aktuell einen rund 21%igen Marktanteil kontrollieren.
Die technologischen Ambitionen werden auch aus der aktuellen Xi-Rede sichtbar: "Wir werden uns auf nationale strategische Bedürfnisse konzentrieren, Kräfte sammeln, um Spitzenforschung zu betreiben, und den Kampf in Schlüsseltechnologien entscheidend gewinnen." Und dies ist genau der Aufruf an chinesische Technologieunternehmen, noch mehr in Forschung, Entwicklung und Herstellung von wichtigen Komponenten, wie Chips und Halbleiter zu investieren, um letztendlich die technologische Sicherheit Chinas zu garantieren.
Aus diesem Grund gelangen wir zu der ersten wichtigen Annahme, dass Investitionen in Chinas Technologie-Unternehmen und Halbleiter-Hersteller in den kommenden fünf Jahren eine sehr interessante Alternative im Sinne der Depot-Beimischung darstellen könnten.
Explizit werden wir das Thema allerdings erst dann aufgreifen, sobald China seine Zero-Covid-Politik lockert, denn dies ist wohl die entscheidende Bedingung dafür, dass auch diese Wirtschaftszweige mitangekurbelt werden.
Außenpolitik bleibt weiterhin das Größte Risiko
In dieser Hinsicht hält das kommunistische Land weiterhin an der Soft-Power-Politik fest, ohne eine globale Führungsrolle, wie z. b. die USA und seit einigen Jahren auch die Russische Föderation aktiv zu beanspruchen. Dies sah man eindeutig am Ausgang der Taiwan-Eskalation, als die US-amerikanische Politikerin Nancy Pelosi Taiwan ohne eine chinesische Erlaubnis besucht hatte. Und obwohl die meisten eine militärische Eskalation erwartet haben, blieb die chinesische Antwort auf diese Provokation im Großen und Ganzen aus. Grund dafür ist einfach die Tatsache, dass China noch nicht so stark ist, um Taiwan-Frage militärisch zu lösen und so entschied man sich zunächst dafür, keinen aggressiven politischen Kurs einzuschlagen.
Aktuell steht China eher für gemeinsames Wachstum mit anderen Ländern v. A. der asiatischen Region durch die Umsetzung eigener nationaler Projekte. Die sog. chinesische Belt and Road Initiative (auch als Neue Seidenstraße bekannt) sieht bspw. gemeinsame Infrastrukturinvestitionen vor, was zur Stärkung von internationalen Wirtschaftsbeziehungen beitragen sollte. Und in dieser Hinsicht zeigt sich die Kommunistische Partei sehr offen und lädt andere Länder zur Teilnahme an solchen Projekten.
Konfrontation mit den USA, doch die Diplomatie hat immer noch eine große Chance
Trotz der Tatsache, dass China in der aktualisierten nationalen Sicherheitsstrategie der USA als eine der Hauptbedrohungen für die Entwicklung der Vereinigten Staaten hervorgehoben wird, hat Xi Jinping in seiner Rede die Vereinigten Staaten nicht als politischen Gegner bezeichnet. Aber indirekt wurden die Fragen der Konfrontation mit den Vereinigten Staaten in der Rede viele Male angesprochen. In Bezug auf Taiwan warnte Xi bspw., dass China weiterhin eine friedliche Vereinigung anstreben werde, aber bereit sei, bei Bedarf alle notwendigen Maßnahmen zu ergreifen. Xi warnte auch ungenannte ausländische Kräfte davor, sich in die Angelegenheit einzumischen. Und dies scheint für Peking tatsächlich eine rote Linie zu sein, die man besser nicht überschreiten sollte. Damit bleibt Taiwan bis auf weiteres ein großes politisches Risiko, der alle China-Stocks begleiten wird.
Und so gelangen wir auch schon zum Fazit.
Xi Jinpings Rede wies einmal mehr auf einen besonderen Weg für Chinas sowohl in seiner politisch-gesellschaftlichen als auch wirtschaftlichen Entwicklung hin.
Das Land strebt nicht die alleinige Weltherrschaft auf Kosten anderer an (zumindest nicht offen), sondern plant, Synergien und gemeinsame Anstrengungen zu nutzen, um wirtschaftlich zu wachsen und, um Wohlstand der Nation zu steigern. Technologische und wirtschaftliche Macht ermöglichen es China, seine eigenen Interessen immer lauter zu verteidigen und dem außenpolitischen Druck immer besser zu widerstehen, ohne sich dabei in laufende Konflikte wie z. B. der Ukraine-Konflikt aktiv einzumischen. Hier gilt wohl der Spruch: ", wenn sich zwei Tiger im Tal streiten, sitzt der kluge Affe auf dem Baum und schaut aufmerksam zu". Und so kann China derzeit genauso wie die Türkei und Indien tatsächlich auf beiden Stühlen sitzen, indem man sowohl mit der Russischen Föderation als auch mit dem Westen Wirtschaftsbeziehungen weiter ausbaut.
Die erklärten Wachstumsziele von 4,7 % pro Jahr für die nächsten 13 Jahre erscheinen sehr ehrgeizig und ambitioniert zu sein und werden angesichts des politischen Drucks und des Sanktionsdrucks schwer zu erreichen sein. Auf der anderen Seite wird China wohl tatsächlich viel Geld und Kraft investieren, was dem Land erlauben wird, seine eigenen neuen Branchen-Nischen und Wirtschaftszweige aufzubauen und so die Unabhängigkeit wirtschaftliche Sicherheit zu stärken. Und genau aus diesem Grund werden wir zukünftig einen oder anderen chinesischen Top-Pick explizit thematisieren.