ROUNDUP 4: Urteil torpediert Le Pens Präsidentschaftskandidatur
(Aktualisierung: Äußerungen Le Pen in Absätzen 2 sowie 7 und 8 ergänzt, Stellungnahme USA in Absatz 10)
PARIS (dpa-AFX) - Ein Gericht hat die rechtsnationale französische Spitzenpolitikerin Marine Le Pen wegen der Veruntreuung öffentlicher Gelder verurteilt und ihre geplante Kandidatur bei der Präsidentschaftswahl 2027 voraussichtlich unmöglich gemacht. Das Gericht verhängte mit sofortiger Wirkung ein auf fünf Jahre befristetes Verbot, bei Wahlen anzutreten.
Le Pen stellte sich als Opfer eines politischen Urteils dar. Sie kündigte an, sie werde für einen schnellen Berufungsprozess kämpfen, damit sie bei der Präsidentschaftswahl 2027 antreten könne. "Ich werde mich nicht einfach so beseitigen lassen. Ich werde die Rechtsmittel nutzen, die ich ergreifen kann", sagte sie.
Es wird für unwahrscheinlich gehalten, dass ein Berufungsprozess zu einem schnellen Ergebnis kommt. Vielmehr dürfte ein jahrelanger Gang durch die gerichtlichen Instanzen folgen. Bis zum Ende der Wahlperiode kann Le Pen aber weiter als Abgeordnete im Parlament sitzen, wo sie Fraktionsvorsitzende ist.
Elektronische Fußfessel für Le Pen
Außerdem verurteilte das Gericht die 56-Jährige zu zwei Jahren Haft mit elektronischer Fußfessel - die genauen Details zur Ausgestaltung der Strafe blieben unklar. Zwei weitere Jahre Haft wurden zur Bewährung ausgesetzt. Zudem wurde eine Geldstrafe von 100.000 Euro verhängt. Diese Strafen werden erst vollstreckt, wenn das Urteil rechtskräftig ist.
In dem Prozess ging es um die Affäre um Scheinbeschäftigung von Assistenten durch mehrere französische Europaabgeordnete von Le Pens rechter Partei Rassemblement National (RN, früher Front National). Neben Le Pen wurden acht weitere Abgeordnete ihrer Partei im Europaparlament schuldig gesprochen, sowie zwölf parlamentarische Assistenten. Das Rassemblement National muss eine Million Euro Strafe zahlen.
Heikles Urteil
Für die rechte Partei und Le Pens politische Ambitionen ist das Ergebnis des Prozesses ein Desaster. Der vorübergehende Verlust des passiven Wahlrechts ist in Frankreich eine gängige Strafe, wenn Politiker wegen Korruption und Untreue verurteilt werden. Dennoch gilt es aufgrund der großen Beliebtheit von Le Pen als heikel - auch moderate Politiker im Land hatten Bedenken angemeldet, da es das Narrativ befeuern könnte, das Urteil sei politisch motiviert, um Le Pen als Präsidentin zu verhindern.
In diesem Sinne argumentierte Le Pen auch in einem Gespräch mit dem Sender TF1: "Heute Abend gibt es Millionen von Franzosen, die empört sind, und zwar in einem unvorstellbaren Ausmaß empört sind, wenn sie sehen, dass in Frankreich, dem Land der Menschenrechte, Richter Praktiken eingeführt haben, von denen man dachte, sie seien autoritären Regimen vorbehalten."
Le Pen: Millionen von Franzosen ihrer Kandidatin beraubt
Im Grunde habe die Richterin ihr verkündet: "Ich werde Sie sofort unwählbar machen, und ich tue dies, um zu verhindern, dass Sie zur Präsidentin der Republik gewählt werden können." Millionen von Franzosen seien somit der Kandidatin beraubt worden, die aktuell Favoritin für die Präsidentschaftswahlen 2027 sei, sagte sie weiter.
Der bisherige Plan war, dass bei einem Sieg Le Pens bei der Präsidentschaftswahl und einem Sieg ihrer Partei bei der nachfolgenden Parlamentswahl RN-Chef Jordan Bardella (29) Premierminister geworden wäre. Erwartet wird nun, dass Bardella für das Präsidentenamt kandidiert. "Jordan Bardella ist eine großartige Bereicherung für die Partei, und das sage ich schon lange. Ich hoffe, dass wir auf diesen Trumpf nicht eher zurückgreifen müssen, als es notwendig ist", sagte Le Pen.
US-Regierung besorgt
Über den Gerichtsentscheid gegen Le Pen zeigte sich die US-Regierung besorgt. "Wir müssen als Westen mehr tun, als nur über demokratische Werte zu reden. Wir müssen sie leben", sagte die Sprecherin des US-Außenministeriums, Tammy Bruce, angesprochen auf das Urteil. Der Ausschluss von Menschen aus dem politischen Prozess sei besonders besorgniserregend.
RN-Chef Jordan Bardella sagte: "Es ist nicht nur Marine Le Pen, die heute ungerechterweise verurteilt wurde: Das ist die Hinrichtung der französischen Demokratie." Auch mehrere prominente Rechts-Politiker in Europa, darunter Italiens Vize-Regierungschef Matteo Salvini und Ungarns Ministerpräsident Viktor Orban, kritisierten das Urteil beziehungsweise zeigten sich solidarisch mit ihrer politischen Freundin.
Kritik auch aus anderen Parteien
Das weitreichende Urteil stieß auch bei Politikern anderer Parteien auf Kritik. "Die Entscheidung über die Absetzung eines Politikers sollte dem Volk obliegen", sagte die Führungsfigur von Frankreichs Linkspartei, Jean-Luc Mélenchon. Der Fraktionschef der konservativen Républicains, Laurent Wauquiez meinte, dass es in einer Demokratie nicht gesund sei, wenn einer gewählten Politikerin die Kandidatur für eine Wahl untersagt werde. "Politische Debatten müssen an der Wahlurne von den Franzosen entschieden werden."
Zentraler Vorwurf in dem Prozess war, dass Le Pens Partei Geld für parlamentarische Assistenten vom Europäischen Parlament bekommen hat, die aber teilweise oder ganz für die Partei gearbeitet hätten. Das Gericht sprach in seinem Urteil von einem systematischen Verstoß, der über zwölf Jahre angedauert und mit dem sich die Partei bereichert habe. Vor Gericht hatte Le Pen die Vorwürfe stets zurückgewiesen. "Ich habe nicht das Gefühl, die geringste Regelwidrigkeit, die geringste Rechtswidrigkeit begangen zu haben", sagte sie im Prozess.
Rassemblement National so stark wie nie
Das Debakel vor Gericht trifft die rechtsnationale Partei in Frankreich in einem ungünstigen Moment, denn schon seit einer Weile ist sie beständig auf dem Vormarsch und im Parlament inzwischen so stark vertreten wie noch nie. Die von ihrem kürzlich gestorbenen Vater Jean-Marie gegründete rechtsextremistische Front National benannte Marine Le Pen 2018 in Rassemblement National um und verzichtete auf allzu radikale Positionen, um sie auch in breiteren Schichten der Bevölkerung wählbar zu machen. Dreimal bereits kandidierte Le Pen für das Präsidentenamt, bei den letzten beiden Wahlen kam sie bis in die Stichwahl./evs/DP/he