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WIESBADEN (dpa-AFX) - Die Hoffnung auf eine Erholung der deutschen Wirtschaft ist auf das zweite Halbjahr verschoben: Das Minus im Frühjahr fiel mit 0,3 Prozent noch deutlicher aus. Zunächst hatte das Statistische Bundesamt einen Rückgang der Wirtschaftsleistung zum ersten Quartal um 0,1 Prozent errechnet.
Vor allem die Industrieproduktion entwickelte sich schlechter als angenommen. Die "Bremsspuren des Handelskriegs" mit den USA seien bei der Exportnation Deutschland tiefer als vermutet, analysiert KfW-Chefvolkswirt Dirk Schumacher. Auch der private Konsum zog nach Angaben des Bundesamtes im zweiten Quartal nicht in dem Maße an wie erhofft, positive Impulse von Außenhandel blieben ganz aus.
Licht am Ende des Tunnels
Dennoch hat sich die Stimmung in vielen Unternehmen zuletzt verbessert: Niedrigere Zinsen machen Anschaffungen günstiger, die Aussicht auf Milliardeninvestitionen des Bundes in Verteidigung, Schienen, Straßen und Brücken lässt auf ein Ende der jahrelangen Flaute 2026 hoffen.
"Frühindikatoren wie Unternehmensbefragungen, Baugenehmigungen und Auftragseingänge deuten darauf hin, dass es im zweiten Halbjahr zu einer Beschleunigung des Wirtschaftswachstums kommt", sagt Sebastian Dullien, wissenschaftlicher Direktor des Instituts für Makroökonomie und Konjunkturforschung (IMK) der gewerkschaftlichen Hans-Böckler-Stiftung.
Staatsdefizit kleiner geworden
Dazu kommt: Die Kassenlage des Staates hat sich verbessert. Zwar gab der Fiskus in den ersten sechs Monaten dieses Jahres nach vorläufigen Daten der Wiesbadener Statistiker 28,9 Milliarden Euro mehr aus, als er einnahm. Das Defizit war aber um deutliche 19,4 Milliarden niedriger als ein Jahr zuvor.
Steigende Sozialbeiträge - unter anderem durch höhere Beiträge zur Kranken- und Pflegeversicherung - und höhere Steuereinnahmen entlasteten die öffentlichen Kassen. Bezogen auf die gesamte Wirtschaftsleistung lag das Defizit von Bund, Ländern, Gemeinden und Sozialversicherung im ersten Halbjahr 2025 bei vergleichsweise niedrigen 1,3 Prozent. Das ist der beste Wert für ein erstes Halbjahr seit dem ersten Halbjahr 2022, damals hatte es nach jüngsten Berechnungen einen Überschuss von 0,2 Prozent gegeben.
Im Gesamtjahr 2024 war das Staatsdefizit nach jüngsten Zahlen auf mehr als 115 Milliarden Euro gestiegen, es ergab sich eine Defizitquote von 2,7 Prozent. Der europäische Stabilitäts- und Wachstumspakt erlaubt den EU-Staaten ein Haushaltsdefizit von höchstens drei Prozent und eine Gesamtverschuldung von höchstens 60 Prozent des nominalen Bruttoinlandsprodukts (BIP). In Deutschland beliefen sich die Bruttoschulden 2024 auf 62,5 Prozent des BIP.
Mini-Wachstum im Gesamtjahr scheint möglich
Nach Einschätzung der Bundesbank wird die deutsche Wirtschaft im laufenden Vierteljahr keine großen Sprünge machen: "Im dritten Quartal könnte die Wirtschaftsleistung in etwa stagnieren." Für das Gesamtjahr hält die Notenbank jedoch inzwischen statt Stagnation ein leichtes Plus für möglich. Auch führende Wirtschaftsforschungsinstitute trauen Europas größter Volkswirtschaft nach zwei Jahren Rezession mit Minus 0,9 Prozent 2023 und Minus 0,5 Prozent 2024 im laufenden Jahr ein Mini-Wachstum um die 0,3 Prozent zu.
Mit "Wachstumsbooster" und "Bauturbo" will die Bundesregierung die Konjunktur ankurbeln. Doch nach den ersten 100 Tagen der Koalition unter Führung von Bundeskanzler Friedrich Merz (CDU) sind viele ernüchtert. "Aktuell bleiben fast alle wichtigen Reformen aus, weil sich die SPD und auch Teile der CDU/CSU dagegen sperren", sagte die "Wirtschaftsweise" Veronika Grimm den Zeitungen der Funke Mediengruppe. Daher entstehe keine Wachstumsdynamik.
Bundeswirtschaftsministerin Katherina Reiche (CDU) sieht "dringenden Handlungsbedarf": "Entscheidend ist nun, zügig mutige Strukturreformen umzusetzen - etwa bei der Flexibilisierung der Arbeitszeiten, der Dämpfung der Lohnnebenkosten, dem Abbau bürokratischer Hürden und der Senkung der Energiepreise." Gleichzeitig müssten zusätzliche Belastungen für Unternehmen vermieden werden, betonte Reiche: "Wir müssen über weitere Senkungen, nicht Erhöhungen der Steuerlast sprechen."
Exportnation Deutschland von Zöllen belastet
Die erratische Zollpolitik von US-Präsident Donald Trump sorgt weiterhin für Verunsicherung. Seit dem 7. August gelten für die meisten Importe aus der Europäischen Union in die USA Zölle von 15 Prozent. Auch nach jüngsten Ankündigungen bleibe ungewiss, "ob und wann die Zölle auf Automobile von 27,5 Prozent auf 15 Prozent gesenkt werden", ordnet ING
Den deutlicheren Rückgang des deutschen Bruttoinlandsprodukts im zweiten Quartal erklären Volkswirte zum Teil als Gegenbewegung zu den ersten drei Monaten: Zum Jahresauftakt hatte es noch ein Mini-Wachstum von 0,3 Prozent gegeben - weil aus Angst vor höheren Zöllen Geschäfte vorgezogen wurden./ben/ceb/DP/mis