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ROUNDUP: Schwarz-Rot startet in den 'Herbst der Reformen'

03.09.2025
um 17:00 Uhr

BERLIN (dpa-AFX) - Trotz deutlicher Meinungsunterschiede demonstrieren Union und SPD vor dem angestrebten "Herbst der Reformen" Zuversicht. Ziel sei es, unterschiedliche Interessen auszugleichen und Kompromisse zu finden, sagte Regierungssprecher Stefan Kornelius vor dem dritten Treffen des Koalitionsausschusses, einem maßgeblichen Entscheidungsgremium von Schwarz-Rot. Am Abend wollen die Spitzen von CDU, CSU und SPD ihren Reformwillen mit der Einigung auf mehrere Projekte in den Bereichen Wirtschaft und Soziales unter Beweis stellen.

Klingbeil erinnert an Schröders Agenda 2010

Bundesfinanzminister Lars Klingbeil würdigte vor dem Treffen die Agenda 2010 des damaligen Bundeskanzlers Gerhard Schröder (SPD). "Schröder hat mutige Reformen angepackt", sagte der SPD-Chef der "Zeit". "Auch heute brauchen wir umfassende Reformen, damit unser Sozialstaat stark, aber auch bezahlbar bleibt und besser funktioniert."

Die heutigen Reformen müssten allerdings "in unsere Zeit passen" und dürften die "Gräben nicht vertiefen", mahnte Klingbeil. Wichtig sei, dass es "am Ende gerecht zugeht und alle ihren Teil zum Reformpaket beitragen".

Im März 2003 hatte der damalige Kanzler Schröder als Antwort auf die wirtschaftliche Schwäche des Landes als Agenda 2010 bezeichnete umfassende Arbeitsmarkt- und Sozialreformen angekündigt. Die SPD verlor damals viele Stammwähler und bei der Bundestagswahl 2005 auch das Kanzleramt. Die Regierung von Schröders Nachfolgerin Angela Merkel (CDU) profitierte von Schröders Reformen und dem daraus folgenden wirtschaftlichen Aufschwung.

Stimmung in der Koalition weiterhin angespannt

Nun will auch die Regierung von Kanzler Friedrich Merz (CDU) und Vizekanzler Klingbeil in diesem Herbst Sozialreformen auf den Weg bringen, bei denen noch unklar ist, wie weitreichend sie ausfallen werden. Die Stimmung in dem Regierungsbündnis ist auch nach der Sommerpause angespannt. In vergangenen Tagen hatten sich Merz und Sozialministerin Bärbel Bas (SPD) einen Schlagabtausch über die Milliardenkosten fürs Soziale geliefert. Merz betonte mehrfach, man könne sich den Sozialstaat so wie heute nicht mehr leisten. Bas nannte das "Bullshit".

Diese Baustellen muss die Koalition im Einzelnen bewältigen:

Finanzierungslücke

Die Bundeshaushalte für 2025 und 2026 hat Finanzminister Lars Klingbeil (SPD) einigermaßen geräuschlos auf die Beine gestellt. Doch in der Etatplanung für 2027 klafft ein 30 Milliarden Euro großes Loch. Keine Bundesregierung hat eine solche Finanzierungslücke jemals erfolgreich gestopft.

Auch Schwarz-Rot wird das durch Kürzungen und das erhoffte Wirtschaftswachstum allein kaum gelingen. Nötig sind nun teils wohl auch schmerzhafte Entscheidungen zum Beispiel zu Subventionen, zu Förderprogrammen und im Sozial- und Steuersystem. Aktuell drohen Maßnahmen wie eine höhere Pendlerpauschale und Förderung für Agrardiesel zusätzliche Löcher in den Etat zu reißen, die man sich eigentlich nicht leisten kann.

Hinter den Kulissen wird laut kritisiert, dass nicht alle in der Koalition gleichermaßen bereit seien, einen Beitrag zum Sparen und Reformieren zu leisten. Beim Koalitionsausschuss müsse man sich das in die Hand versprechen, heißt es.

Sozialreformen

Das Sozialsystem mit Rente, Kranken- und Pflegeversicherung, Bürgergeld und anderen Leistungen droht wegen der Konjunkturschwäche und der demografischen Entwicklung für die Beitragszahler immer teurer zu werden. Zwischen Union und SPD kochte zuletzt eine Grundsatzdebatte über die Kosten für den Sozialstaat hoch.

Besonders das Bürgergeld steht im Fokus. Kanzler Merz setzte Bas in einem Sommerinterview unter Druck: Fünf Milliarden Euro müssten sich hier einsparen lassen, rechnete er der SPD-Chefin vor. "Wenn wir uns nicht mehr trauen, in einem Transfersystem, das in die falsche Richtung läuft, zehn Prozent einzusparen, dann versagen wir vor dieser Aufgabe", sagte der CDU-Chef in einem Interview von Sat.1.

Im Arbeitsministerium wird zwar an einem Reformentwurf gearbeitet. Im Fokus - das geht aus früheren Äußerungen von Bas hervor - dürften etwa nachgeschärfte Mitwirkungspflichten stehen. Nicht ganz, was die Union sich erhofft. Konkrete Beschlüsse sind zu diesem Thema beim Koalitionsausschuss heute nicht zu erwarten: Für längerfristige Reformen soll eine Kommission Vorschläge machen.

Steuererhöhungen

Ebenfalls angestoßen durch die Finanzierungslücken im Haushalt läuft eine Debatte über mögliche Steuererhöhungen, die Geld in die Staatskasse spülen könnten. Und zwar auf Chefebene: Klingbeil hatte höhere Steuern für Spitzenverdiener und Vermögende nicht ausgeschlossen. Merz erteilte solchen Ideen dagegen eine prinzipielle Absage.

Inzwischen sprach sich allerdings mit dem Vorsitzenden der Christlich Demokratischen Arbeitnehmerschaft (CDA), Dennis Radtke, auch ein Unionspolitiker für bestimmte Erhöhungen aus: Die Erbschaftsteuer könne verschärft werden. Außerdem könne die Reichensteuer, die mit 45 Prozent noch über dem Spitzensteuersatz von 42 Prozent liegt, etwas angehoben werden.

Zuletzt legte SPD-Fraktionschef Matthias Miersch nochmal nach: "Wenn wir die mittleren Einkommen entlasten wollen und vielleicht sogar den Spitzensteuersatz später beginnen lassen wollen, dann muss man sagen, wie man das finanziert. Und dann müssen die, die eben ganz, ganz viel haben, unter Umständen auch mehr zur Kasse gebeten werden", sagte er im Podcast von Politico.

Investitionen

Noch nie hat eine Bundesregierung so hohe Investitionen geplant - doch wie stellt man sicher, dass das Geld auch wirklich abfließt? Das war in den vergangenen Jahren bereits ein Problem. Nun ist ein Investitionsbeschleunigungsgesetz im Gespräch, das im Koalitionsausschuss festgezurrt werden könnte. Außerdem sollen Experten der Bundesregierung helfen, das Geld aus dem 500-Milliarden-Euro-Sondervermögen für Infrastruktur sinnvoll einzusetzen./mfi/DP/jha