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Crédit Mutuel Asset Management: Geldpolitik unter Wasser: Das Klimaproblem der EZB
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EQS-Media / 03.11.2025 / 08:05 CET/CEST
Geldpolitik unter Wasser: Das Klimaproblem der EZB
Text fertiggestellt am 17. Oktober 2025
Von Océane BALBINOT-VIALE, Sustainable Investment Research Analyst, Crédit
Mutuel Asset Management
Crédit Mutuel Asset Management ist eine Asset-Management-Gesellschaft der La
Française Gruppe, der Holdinggesellschaft des
Asset-Management-Geschäftsbereichs der Crédit Mutuel Alliance Fédérale.
Was haben Inflation, Staatsanleihen-Spreads und Klimakatastrophen gemeinsam?
Zunehmend alles.
Für diejenigen, die immer noch glauben, dass der Klimawandel lediglich ein
langfristiges ESG-Problem ist, das nichts mit den kurzfristigen
wirtschaftlichen Fundamentaldaten zu tun hat, hat die Europäische
Zentralbank (EZB) eine deutliche Antwort gegeben: "Klimabezogene Risiken
sind ein unmittelbares Problem für die Finanzstabilität und das
Wirtschaftswachstum" [1]. Die Warnung, die im Juli 2025 herausgegeben wurde,
ging einher mit einer neuen Analyse auf Basis von Kurzzeitszenarien, die vom
Network for Greening the Financial System (NGFS) entwickelt wurden. Diese
Analyse zeigt, dass extreme Klimaereignisse, die bereits 2026 einsetzen
könnten, das BIP der Eurozone bis zum Ende des Jahrzehnts um bis zu 4,7 %
reduzieren könnten. Dies wäre ein Rückgang, der in seiner Größenordnung mit
den wirtschaftlichen Auswirkungen der globalen Finanzkrise vergleichbar
wäre. Selbst wenn es keine direkten Klimaschäden in der Region gäbe, könnten
indirekte Auswirkungen wie Lieferkettenunterbrechungen in rohstoffreichen
Regionen die Produktion im Euroraum dennoch um fast 2 % beeinträchtigen [2].
Ein entscheidender Moment in der Debatte um Klimarisiken: Der Fokus liegt
nicht mehr ausschließlich auf langfristigen Aspekten. Tatsächlich werden
physische Risiken zu einem makroökonomischen Störfaktor innerhalb
investierbarer Zeithorizonte, mit direkten Auswirkungen auf Zentralbanken
und das Finanzsystem insgesamt.
Die von der EZB skizzierten besorgniserregendsten wirtschaftlichen
Auswirkungen ergeben sich aus einem Szenario mit dem Titel "Katastrophen und
politische Stagnation", in dem eine Reihe klimabedingter Katastrophen (von
Hitzewellen und Dürren bis hin zu Waldbränden, Überschwemmungen und heftigen
Stürmen) weitreichende physische und wirtschaftliche Schäden auslösen [3].
Die Folgen sind zweierlei: Die Produktions- und Vertriebskapazitäten werden
beeinträchtigt, was zu einem Preisanstieg führt, während das Verbraucher-
und Investitionsvertrauen sinkt, wodurch die Nachfrage gedämpft wird. Das
Ergebnis: Stagflation, eine unglückliche Mischung aus Inflation und
niedrigem Wachstum, mit der die Zentralbanken nicht gut umgehen können. Eine
straffere Geldpolitik mag zwar wie die klassische Antwort auf steigende
Preise wirken, aber wenn man das in einer Zeit macht, in der die Wirtschaft
wegen des Klimawandels schrumpft, kann das den Abschwung noch verschlimmern.
Wenn man dagegen nichts gegen den Inflationsdruck unternimmt, riskiert man,
dass die Inflationserwartungen aus dem Ruder laufen und die Glaubwürdigkeit
der Zentralbanken leidet.
Ein solches Dilemma ist besonders brisant für die EZB, deren vorrangiges
Mandat die Preisstabilität ist, die aber gleichzeitig auch für die Wahrung
der Finanzstabilität zuständig ist... In einem Szenario, das von physischer
Zerstörung, sinkender Produktivität und einer auf die Bewältigung der
Katastrophe ausgerichteten fiskalischen Expansion geprägt ist, könnten diese
beiden Prioritäten - vielleicht ironischerweise - nicht mehr miteinander
vereinbar sein. Der Druck auf die öffentlichen Haushalte, deren Bilanzen
ohnehin schon angespannt sind, könnte die Sorgen um die Tragfähigkeit der
Verschuldung und die Fragmentierung der Märkte noch verstärken. [4] Dieses
Risiko ist für finanzschwache Mitgliedstaaten am größten, auch wenn die
Eurozone insgesamt nach wie vor über mehr finanzpolitischen Spielraum
verfügt als andere Industrieländer [5]. Die jüngsten Krisen zeigen, dass
angesichts systemischer Schocks (wie der Corona-Pandemie oder der russischen
Invasion in der Ukraine) die finanzpolitischen Reaktionen zunehmend auf
EU-Ebene koordiniert wurden. Es ist daher plausibel, dass auch künftige
klimabezogene Ausgaben zumindest teilweise vergemeinschaftet werden.
Allerdings könnte sich die Qualität der Assets von Finanzinstituten, die
stark betroffenen Regionen oder Sektoren ausgesetzt sind, verschlechtern.
[6] Die EZB könnte sich somit gezwungen sehen, zwischen der Unterstützung
des Wachstums und der Wahrung der Inflationsdisziplin zu wählen: eine
unangenehme Lage für jede Zentralbank, insbesondere jedoch für eine, die in
einer politisch heterogenen Währungsunion tätig ist.
Was diese Situation noch schwieriger macht, ist die Tatsache, dass die
geldpolitische Transmission angesichts klimatischer Asymmetrien
wahrscheinlich nicht neutral bleiben wird. So könnte beispielsweise die
Belastung durch Zinserhöhungen der EZB unverhältnismäßig stark auf bereits
gefährdete Sektoren fallen - insbesondere auf diejenigen, die sowohl
Übergangs- als auch physischen Risiken am stärksten ausgesetzt sind
(kohlenstoffintensive Industrien, ressourcenabhängige Fertigung oder
klimagefährdete Sachwerte). Gleichzeitig könnten Übergangsbranchen wie
erneuerbare Energien oder Energieeffizienztechnologien, die zwar in der
Regel hinsichtlich ihrer langfristigen Belastbarkeit erfolgversprechender
sind, in einem Umfeld strengerer Finanzierungsbedingungen Schwierigkeiten
haben, Kapital anzuziehen. Dies ist keine Spekulation: In einem
Arbeitspapier aus dem Jahr 2023 haben EZB-Experten hervorgehoben, dass ein
"langsamer ökologischer Wandel" die Verteilungseffekte der Geldpolitik
verändern kann [7], was darauf hindeutet, dass die derzeitigen Instrumente
möglicherweise nicht mehr in der gesamten Wirtschaft einheitlich die
beabsichtigten Ergebnisse erzielen. Diese zunehmende Asymmetrie spiegelt
sich auch in den jüngsten operativen Entscheidungen der EZB wider: Im Juli
2025 kündigte die Zentralbank die Einführung eines neuen "Klimafaktors" an,
um die Bewertung von Sicherheiten, die bei Refinanzierungsgeschäften
verwendet werden, anzupassen [8]. In der Praxis werden Anleihen von
Emittenten, die als besonders anfällig für Klimawandelrisiken gelten,
strengeren Bewertungsabschlägen unterliegen, wodurch sich ihr
Liquiditätswert für Banken verringert. Diese Maßnahme soll das Eurosystem
vor klimabedingten Finanzrisiken schützen, könnte jedoch auch die
Finanzierungsengpässe in emissionsintensiven Sektoren verstärken und damit
die bereits bestehenden Unterschiede in der geldpolitischen Transmission
noch weiter verschärfen [9].
Auch Staaten werden sich der zunehmenden Kontrolle durch Investoren
wahrscheinlich nicht entziehen können. Die Gefahr einer klimabedingten
Verschlechterung der Haushaltslage und einer Neubewertung des Anleihemarktes
lässt erneut eine Fragmentierung innerhalb der Eurozone befürchten. Zwar
wurden Instrumente wie das Pandemic Emergency Purchase Programme (PEPP) und
das Transmission Protection Instrument (TPI) entwickelt, um
ungerechtfertigte Spreads zwischen den Mitgliedstaaten zu verhindern [10]
[11], doch bleibt ihre Anwendbarkeit angesichts klimabedingter Divergenzen
ungewiss. Während die Inflationserwartungen weiterhin gut verankert sind
(die durchschnittlichen Verbrauchererwartungen für 2030 liegen immer noch
nahe am EZB-Ziel von 2 % [12]), wird der Klimawandel von den Verbrauchern
zunehmend als Treiber des Inflationsdrucks wahrgenommen: Laut einer von PwC
im Jahr 2024 durchgeführten Umfrage [13] gaben fast 9 von 10 Verbrauchern
an, die disruptiven Auswirkungen des Klimawandels in ihrem täglichen Leben
am eigenen Leib zu spüren, und fast ein Drittel nannte die Inflation als das
größte Risiko für ihre Konsumgewohnheiten [14]. Das Aufkommen einer
gefühlten Verbindung zwischen Klimaereignissen und Preissteigerungen könnte
die Inflationspsychologie allmählich verändern - insbesondere wenn extreme
Wetterereignisse häufiger auftreten und größere Schäden verursachen. Diese
Diskrepanz zwischen tatsächlichen Erwartungen und gefühlten
Inflationsfaktoren könnte die Reaktionsfähigkeit der EZB mit der Zeit
erschweren.
Für Investoren wie uns haben diese Entwicklungen weitreichende Konsequenzen.
Das grundlegende makroökonomische Umfeld, in dem die Geldpolitik agiert,
wird durch den Klimawandel neu gestaltet. Dies erfordert eine Neubewertung
der Portfoliozusammensetzung, insbesondere im Hinblick auf Staatsanleihen.
Euro-Staatsanleihen, die lange Zeit als risikofrei oder zumindest risikoarm
galten, könnten eine differenziertere Betrachtung erfordern, die
klimabedingte fiskalische Kapazitäten, adaptive Infrastrukturinvestitionen
und die politische Polarisierung rund um den Klimawandel berücksichtigt.
Ebenso müssen sich die Strategien zur Sektorallokation weiterentwickeln.
Neben ESG-Ratings und Klimadaten wird es zunehmend wichtiger, wie stark ein
Unternehmen oder ein Sektor dem neuen makrofinanziellen Umfeld ausgesetzt
ist. Dieses scheint durch beeinträchtigte Wachstumsmuster, unvorhersehbare
Inflation und potenziell strengere Finanzierungsbedingungen gekennzeichnet
zu sein.
Daher sollten Klimaszenarien nicht mehr nur in Nachhaltigkeitsberichten oder
Stresstests vorkommen. Sie müssen zu zentralen Faktoren für
Wirtschaftsprognosen, Asset-Liability-Modelle und langfristige
Renditeerwartungen werden. Dabei müssen sowohl Naturkatastrophen als auch
langfristige Trends (strengere Regulierung, Ressourcenknappheit usw.)
berücksichtigt werden. Ebenso wichtig ist, dass eine klimabewusste
Portfoliokonstruktion durch aktives Engagement ergänzt wird. Asset Manager
sollten unserer Meinung nach weiterhin auf glaubhaftere Transitionsspläne,
eine bessere Offenlegung physischer Risiken und klarere politische Signale
drängen. Das Eintreten für wirksame CO2-Bepreisungsmechanismen,
taxonomiekonforme Investitionen und eine widerstandsfähigkeitsfördernde
öffentliche Politik ist nicht nur eine Frage der Werte, sondern auch der
Erhaltung der Finanzstabilität und des langfristigen Werts.
Die Botschaft der EZB ist klar... Und die Zeit drängt. Der Klimawandel ist
nicht mehr nur ein langfristiges Nachhaltigkeitsproblem. Er ist eine
makroökonomische Realität, die bereits in die operativen Prämissen der
Geldpolitik einfließt und das bisherige Finanzsystem zu erschüttern droht.
Für Asset Manager bedeutet dies auch, dass sie das Prinzip der doppelten
Wesentlichkeit anerkennen müssen: In einer Welt, in der finanzielle
Entscheidungen zunehmend die Klimaentwicklung beeinflussen, müssen Anleger
nicht nur bewerten, wie sich der Klimawandel auf ihre Portfolios auswirkt,
sondern auch, wie sich ihre Portfolios auf das Klima auswirken. Diese
strukturellen Veränderungen zu antizipieren und zu integrieren, ist nicht
nur gute Praxis, sondern auch zunehmend entscheidend, um in Zeiten
wachsender Unsicherheit eine robuste Performance zu erzielen.
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RCS Paris n° 388.555.021, Crédit Mutuel Asset Management ist eine
Tochtergesellschaft der Groupe La Française, der
Vermögensverwaltungs-Holdinggesellschaft der Crédit Mutuel Alliance
Fédérale.
[1] " Climate risks : no longer the tragedy of the horizon", EZB-Blog, 9.
Juli 2025
[2] Ebenda
[3] " NGFS Short-Term Scenarios for central banks and supervisors", Netzwerk
für die Ökologisierung des Finanzsystems (NGFS), Mai 2025
[4] " Government at a Glance 2025", OECD, 19. Juni 2025
[5] Im Dezember 2024 belief sich die Staatsverschuldung der Eurozone auf
rund 88 % des BIP gegenüber 124 % in den USA. Das Haushaltsdefizit lag bei
3,1 % gegenüber 6,4 % in den USA. Quelle: Bloomberg
[6] " The effects of climate change-related risks on banks: a literature
review", Basler Ausschuss für Bankenaufsicht, Dezember 2023
[7] " Klimabewusste Geldpolitik", EZB-Arbeitspapierreihe, 2023
[8]
https://www.ecb.europa.eu/press/pr/date/2025/html/ecb.pr250729_1~02d753a029.en.html
Die Maßnahme tritt in der zweiten Jahreshälfte 2026 in Kraft. Sie basiert
auf den Ergebnissen des Klimastresstests des Eurosystems von 2024. Der
Klimafaktor wird regelmäßig überprüft.
[9] Generell entwickelt sich das regulatorische Umfeld weiter, um diesen
Risiken Rechnung zu tragen: Gemäß der bevorstehenden CRD6-Richtlinie müssen
Banken beispielsweise ESG-Risiken (einschließlich Klimawandel und physischer
Risiken) in ihre aufsichtsrechtlichen Übergangspläne für den kurz- und
mittelfristigen Zeitraum sowie für einen langfristigen Horizont von
mindestens zehn Jahren integrieren. Dies markiert einen Wandel hin zu einer
vorausschauenden Aufsicht, bei der Klimarisiken zunehmend die Kapitalplanung
und interne Risikorahmenbedingungen beeinflussen.
Quelle: Endgültige Leitlinien zum Management von ESG-Risiken.pdf
[10] Pandemic emergency purchase programme (PEPP)
[11] The Transmission Protection Instrument
[12]
https://www.ecb.europa.eu/stats/ecb_surveys/consumer_exp_survey/results/html/inflation_results.en.html
[13] Es ist zu beachten, dass diese Umfrage auch Länder außerhalb der
EU/Eurozone umfasste.
[14] PwC 2024 Voice of the Consumer Survey, 15. Mai 2024
Ende der Pressemitteilung
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Schlagwort(e): Umwelt
03.11.2025 CET/CEST Veröffentlichung einer Pressemitteilung, übermittelt
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