- von Tom Körkemeier
Brüssel (Reuters) - Die Börsensteuer in Teilen Europas ist schon viele Tode gestorben - dieses Jahr ist die Aussicht auf ewige Ruhe aber besonders groß.
Denn das endgültige Ableben droht der Abgabe beim Handel mit Finanzprodukten nicht mehr nur durch unvereinbare Positionen zwischen den zehn Euro-Ländern, die noch an dem Projekt festhalten. Vielmehr stoßen die Wahlen in Frankreich und Deutschland, der bevorstehende EU-Austritt Großbritanniens und die Deregulierungspolitik von US-Präsident Donald Trump die Finanztransaktionssteuer immer mehr Richtung Abgrund.
Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble hat es nach der Februar-Ratssitzung mit seinen EU-Kollegen noch vorsichtig formuliert: Angesichts des geplanten Brexits sei das Umfeld für die Einführung der Steuer nicht günstig. Die Sprecherin von Österreichs Finanzminister Hans Jörg Schelling wies ebenfalls auf die neue Gemengelage hin. Die "technischen Arbeiten" an der Steuer gingen zwar weiter. "Allerdings ist es wichtig und auch klug, dass man internationale und europäische Entwicklungen berücksichtigt und in die Bewertung einfließen lässt." Sie verwies dabei nicht nur auf den Brexit, sondern auch auf die neue US-Präsidentschaft, deren Schwerpunkte im Detail noch nicht bekannt sind.
KOALITIONSDRUCK UND ZÄHE VERHANDLUNGEN
Trotzdem können die Konservativen Schäuble und Schelling der Steuer nicht einfach schon jetzt den Stecker ziehen. Denn beide haben Vereinbarungen mit ihren sozialdemokratischen Koalitionspartnern getroffen, die sich nach den Auswüchsen der weltweiten Finanzkrise 2008 dafür einsetzen, Spekulanten an den Kosten ihres Handelns zu beteiligen. SPD-Vize-Fraktionschef Carsten Schneider erinnert deshalb daran, dass die Einführung einer solchen Steuer Bestandteil des Koalitionsvertrags ist: "Ich erwarte, dass CDU und CSU alles dazu tun, um diese Verabredung einzuhalten."
Auch Schelling hat eine entsprechende Vereinbarung mit der SPÖ im Gepäck. Diese wurde allerdings noch unter dem mittlerweile zurückgetretenen Kanzler Werner Faymann getroffen. Im zuletzt unter Mühen zustande gekommenen Arbeitsabkommen der Koalition in Wien wird die Börsensteuer nicht mehr erwähnt.
Die ungeliebten Zwänge von daheim spiegeln sich in Brüssel in lustlos anmutenden Verhandlungen wider, seitdem sie 2013 zwischen damals noch elf Euro-Staaten aufgenommen wurden. Die Beratungen drehen sich meist um die gleiche Frage: Welche Finanzprodukte werden von der Abgabe erfasst, die nach früheren Angaben der EU-Kommission insgesamt bis zu 35 Milliarden Euro für die Länder einbringen soll? Mittlerweile beteiligt sich Estland nicht mehr an dem Projekt, so dass neben Deutschland und Österreich noch Frankreich, Italien, Belgien, Griechenland, Portugal, Slowakei, Slowenien und Spanien übrig geblieben sind. Damit eine gemeinsame Steuer zustande kommen kann, sind laut EU-Verträgen mindestens neun Länder notwendig.
Zuletzt stritten Frankreich und Belgien darüber, ob Geschäfte von Pensionsfonds ausgenommen werden sollen - Frankreich war dagegen, Belgien dafür. Deshalb wurden Ausnahmeregeln ins Spiel gebracht. Doch das birgt weitere Risiken, wie Schäuble in Brüssel deutlich machte: "Selbst beim Schweizer Käse darf's nicht nur Löcher haben. Es muss auch noch ein bisserl was drum rum sein, sonst ist's nur noch ein Loch und kein Schweizer Käse." Wie groß ein solcher Käse am Ende wäre, ist also offen. Die Abgabe soll jedenfalls 0,1 Prozent bei Aktiengeschäften und 0,01 Prozent bei Derivaten betragen.
BREXIT UND TRUMP ALS TOTENGRÄBER DER STEUER?
Neben diesen internen Querelen kommt in diesem Jahr eine äußere Dimensionen mit den anstehenden Brexit-Verhandlungen und Trump hinzu. Denn Städte wie Paris und Frankfurt buhlen um Geldhäuser aus London, die durch den EU-Austritt des Königreichs den lukrativen Zugang zum EU-Binnenmarkt zu verlieren drohen. Umstritten ist, ob eine Börsensteuer für eine Bank tatsächlich das ausschlaggebende Argument ist, sich andernorts in der EU niederzulassen - etwa in Luxemburg oder Irland, die nicht an den Abgabeplänen beteiligt sind. Der SPD-Abgeordnete Schneider warnt den Koalitionspartner Union jedenfalls, den Brexit als Ausrede zu nutzen, um die Entscheidung über die Börsensteuer auf die lange Bank zu schieben.
Gegenwind droht der Finanztransaktionssteuer auch aus Amerika. "Auf der US-Seite wird es zu Deregulierung kommen", sagt Martin Hellmich von der Frankfurt School of Finance voraus. "Und ich gehe davon aus, dass mit zeitlicher Verzögerung dann auch in Europa die Regeln gelockert werden, damit der Wettbewerbsvorteil der US-Banken nicht noch größer wird."
Womöglich hat sich das ganze Thema aber bereits am 7. Mai erledigt. Denn dann steht die zweite Runde der Präsidentschaftswahlen in Frankreich an und die regierenden Sozialisten sind in allen Umfragen weit abgeschlagen. Sollte Frankreich jedoch nicht abspringen, ist der nächste Stichtag für die Börsensteuer bei der Bundestagswahl am 24. September erreicht. In einigen Umfragen führt die SPD jedoch vor der Union. Eine mögliche rot-rot-grüne-Koalition könnte der so lange totgeglaubten Steuer dann sogar neues Leben einhauchen.