Reuters

VW-Chef Winterkorn will trotz Abgas-Skandal bleiben

22.09.2015
um 22:26 Uhr

- von Jan C. Schwartz und Ilona Wissenbach

Hamburg/Frankfurt (Reuters) - Volkswagen-Chef Martin Winterkorn will sich trotz des Skandals um manipulierte Abgaswerte im Amt halten.

In einer Videobotschaft einen Tag vor der entscheidenden Sitzung des Aufsichtsratspräsidiums versprach der sichtlich angespannte Konzernchef erneut eine umfassende Aufklärung und warb um Vertrauen. "Ich gebe Ihnen mein Wort, bei all dem werden wir mit der nötigen Transparenz und Offenheit vorgehen." Eine solche Manipulation dürfe es nie wieder geben. "Wir werden alles tun, um Ihr Vertrauen Schritt für Schritt zurückzugewinnen." Die rund 600.000 Mitarbeiter des Konzerns hätten es nicht verdient, unter Generalverdacht gestellt zu werden.

Winterkorn entschuldigte sich bei der weltweiten Kundschaft, den Behörden und der Öffentlichkeit für das Fehlverhalten des Unternehmens. Mit der Videobotschaft will der Konzernchef Druck von sich und dem Konzern nehmen, der seit Ende vergangener Woche nur durch negative Schlagzeilen von sich Reden macht. Denn der Skandal hat größere Ausmaße als angenommen. Bei internen Prüfungen wurden weltweit rund elf Millionen Fahrzeuge festgestellt, bei denen es auffällige Abweichungen zwischen Prüfwerten und dem realen Fahrbetrieb gab. Allein für den Service und weitere Schritte, um Vertrauen in die VW-Technik zurückzugewinnen, legt der Konzern im dritten Quartal rund 6,5 Milliarden zur Seite und kappt deshalb seine Gewinnziele für 2015. In den Rückstellungen sind mögliche Strafzahlungen und Schadensersatzansprüche von Anlegern sowie Kosten für die Rücknahme unverkäuflicher Autos noch nicht enthalten.

Die VW-Aktie nahm nach der Gewinnwarnung ihre Talfahrt wieder auf. Bis zum Nachmittag schmierte das Papier an der Frankfurter Börse erneut um fast 20 Prozent ab. Bereits am Montag hatte VW an der Börse fast ein Fünftel seines Werts verloren. Damit büßte der Konzern seit Bekanntwerden des Abgas-Skandals zeitweise knapp 27 Milliarden Euro an Börsenwert ein. Dies entspricht in etwa der gesamten Marktkapitalisierung der Münchener Rück, des weltgrößten Rückversicherers.

"AUSSERORDENTLICH UNANGENEHM"

Niedersachsens Ministerpräsident Stephan Weil äußerte sich besorgt über die Folgen des Skandals. Die Gewinnwarnung sei "außerordentlich unangenehm" und "besorgniserregend in dieser Höhe", sagte er im Anschluss an eine Kabinettssitzung in Hannover. Das Engagement des Landes, das mit 20 Prozent zweitgrößter VW-Eigner ist, sei jedoch langfristig. Gefragt, ob Winterkorn wegen der Vorwürfe zurücktreten müsse, antwortete der SPD-Politiker, er wolle den Beratungen im Aufsichtsrat nicht vorgreifen.

Betriebsratschef Bernd Osterloh forderte, alle Vorwürfe schnell aufzuklären und personelle Konsequenzen zu ziehen. "Und dies werden keine Sachbearbeiter sein, das kann ich Euch versichern. Wir werden nicht akzeptieren, dass Manipulationen den Ruf der VW-Beschäftigten als exzellente Autobauer beschädigen", schrieb Osterloh in einem Brief an die Belegschaft, der Reuters vorlag.

Am Mittwoch soll der engere Führungszirkel um Osterloh, Weil und Wolfgang Porsche als Vertreter der Familien Porsche und Piech die Folgen der Abgas-Manipulationen beraten und dabei auch die Sitzung des größeren Gremiums am Freitag vorbereiten. Dann soll der Kontrollrat über eine vorzeitige Vertragsverlängerung von Winterkorn um zwei Jahre bis Ende 2018 beraten. Einen Bericht des "Tagesspiegels", wonach Winterkorn durch Porsche-Chef Matthias Müller abgelöst werden soll, wies ein VW-Sprecher zurück. Die Zeitung hatte berichtet, der Konzernchef habe nach dem Diesel-Abgasbetrug in den USA nicht mehr das Vertrauen des Aufsichtsrats.

MILLIARDEN-STRAFE DROHT

Alleine die Ermittlungen der US-Umweltbehörde EPA in den USA könnten eine Strafe von bis zu 18 Milliarden Dollar nach sich ziehen. In Deutschland bereiten zudem Anleger wegen des erlittenen Kursverlusts der VW-Aktie Schadensersatzklagen gegen den Konzern vor. Die auf Kapitalmarktrecht spezialisierte Kanzlei Tilp hat nach eigenen Angaben bereits 35 Anfragen von Privatanlegern und institutionellen Investoren. In den USA wurde bereits eine Sammelklage gegen VW eingereicht.

Um den Skandal weiter aufzuklären und die technischen Abweichungen bei den insgesamt elf Millionen Fahrzeugen zu beheben, nahm Volkswagen Kontakt mit den zuständigen Behörden und dem deutschen Kraftfahrtbundesamt auf. Neben den USA wollen Deutschland, Südkorea, die Schweiz und Frankreich Dieselfahrzeuge auf Manipulationen untersuchen. Bundeskanzlerin Angela Merkel forderte in Berlin eine rasche Aufklärung der Affäre: "Ich hoffe, dass möglichst schnell die Fakten auch auf den Tisch kommen". Auch die EU-Kommission schaltete sich ein.

"WIR HABEN ES VERBOCKT"

Vor allem der Vertrauensverlust macht dem Konzern schwer zu schaffen. Auch VWs US-Chef Michael Horn bat öffentlich um Verzeihung. Volkswagen sei unehrlich zu den Umweltbehörden und seinen Kunden gewesen, sagte der Manager in New York. "Wir haben es völlig verbockt." VW müsse die Fahrzeuge reparieren und dafür sorgen, dass dies nie wieder geschehen könne. Die Manipulation von Abgaswerten widerspreche allen Grundsätzen des Unternehmens.

Wirtschaftsforscher befürchten durch die Affäre gravierende Folgen für die gesamte deutsche Wirtschaft und halten Arbeitsplatzverluste für möglich. "Der Imageschaden wird VW nicht nur in den USA, sondern auch global teuer zu stehen kommen", sagte der Präsident des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung, Marcel Fratzscher, der "Bild"-Zeitung. Damit seien auch Jobs bei VW und vielen Zulieferern in Deutschland gefährdet. Die möglichen Strafzahlungen für VW seien "noch das geringste der Probleme".

Volkswagen AG Vz.

WKN 766403 ISIN DE0007664039