Berlin/Frankfurt (Reuters) - Bundesfinanzminister Olaf Scholz will Steuertricksereien mit sogenannten Phantom-Aktien rasch einen Riegel vorschieben.
"Wir werden mit aller Strenge und all unseren Möglichkeiten gegen jede neue Form des Missbrauchs oder der Illegalität vorgehen", kündigte er am Freitag im Bundestag an. Bei neuen Lücken zur Steuervermeidung müsse sofort mit Gesetzen und anderen Maßnahmen reagiert werden. Die Grünen und die FDP warfen der Regierung vor, aus den Steuerbetrügereien der Vergangenheit wie dem "Cum-Ex-Skandal" nichts gelernt zu haben. Der Minister soll dazu auch im Finanzausschuss des Bundestages Auskunft geben. Auslöser der aktuellen Debatte ist eine neue Variante von Steuerbetrügereien bei Wertpapieren, über die "Süddeutsche Zeitung" und WDR Mitte der Woche berichtet hatten. Im Zentrum stehen dabei Aktienhinterlegungsscheine (American Depositary Receipts, ADR), die in den USA gehandelt werden und die normalerweise mit Aktien im Depot der ausgebenden Bank unterlegt sein müssen. In zahlreichen Fällen sollen aber ADR-Papiere ausgegeben worden sein, ohne dass die Banken die betreffenden Papiere besaßen - sogenannte Vorab-ADR. Damit wurde keine Kapitalertragssteuer auf Dividenden gezahlt. Die Steuererstattung gegenüber dem deutschen Fiskus wurde aber geltend gemacht.
Dem Medienbericht zufolge ermittelt bereits die Kölner Staatsanwaltschaft in dieser Sache. Diese erklärte auf Anfrage: "ADR-Aktien sind auffällig geworden." Man sehe sich das an.
SCHADENSHÖHE NOCH UNKLAR
Zur Höhe des entstandenen Schadens durch die neuen Steuertricks äußerte sich das Bundesfinanzministerium nicht. "Zum jetzigen Zeitpunkt ist das noch nicht möglich", sagte ein Sprecher. Den Vorwürfen werde "mit Hochdruck" nachgegangen, sie müssten schnell aufgeklärt werden. Erste Konsequenzen hat das Ministerium schon gezogen. Als Sofortmaßnahme wurde das elektronische Steuer-Erstattungsverfahren "einstweilen" ausgesetzt, mit dem die Kapitalertragssteuer quasi automatisch überwiesen wurde.
Die US-Börsenaufsicht SEC ist wegen des Handels mit ADRs bereits in der Vergangenheit gegen mehrere Geldinstitute vorgegangen. Darunter befindet sich auch die Deutsche Bank, mit der ein Vergleich wegen der Handhabung von ADR-Papieren in den Jahren 2011 bis 2016 geschlossen wurde. Ein Sprecher der Bank sagte Reuters nun, das Institut habe 2014 aufgehört, Vorab-ADRs um den Dividendenstichtag auszugeben. 2016 habe sich die Deutsche Bank dann ganz aus diesen Geschäften zurückgezogen. Zu dem aktuellen Bericht von "SZ" und WDR wollte die Bank keine Stellung nehmen.
In den nächsten Wochen wird sich auch der Finanzausschuss des Bundestages mit dem Thema beschäftigen. Eine Zusagen von Scholz zur Teilnahme an der Ausschusssitzung am 12. Dezember liege vor, sagte der Grünen-Finanzpolitiker Gerhard Schick. Für die Sitzung eine Woche zuvor legten die Grünen einen Fragenkatalog vor. Sie wollen vor allem herausfinden, warum die deutsche Bankenaufsicht und das Finanzministerium den neuen Steuertricks nicht auf die Spur kamen.
Die angeblichen neuen Steuerstricksereien mit ADR-Papieren stellen nach Expertenmeinung eine Fortentwicklung des sogenannten "Cum-Ex-Skandals" dar, durch den die Staatskassen europaweit um über 55 Milliarden Euro geschädigt worden sein sollen. Bei "Cum-Ex" ließen sich Anleger die einmal gezahlte Kapitalertragssteuer mit Hilfe von Aktien-Verschiebungen rund um den Dividendenstichtag herum mehrmals erstatten. Auch Staatsanwaltschaften ermitteln in dieser Sache.