- von Jan Schwartz und Andreas Cremer
Hamburg/Berlin (Reuters) - Im Skandal um manipulierte Abgaswerte gerät Ex-Volkswagen-Chef Martin Winterkorn wegen Betrugsverdachts ins Visier der Ermittler.
Die Braunschweiger Staatsanwaltschaft leitete am Montag förmliche Untersuchungen gegen den 68-Jährigen ein. Der Schwerpunkt der Ermittlungen liege auf dem Vorwurf, dass Fahrzeuge mit manipulierten Abgaswerten verkauft worden seien, teilte die Behörde mit. Winterkorn war am vergangenen Mittwoch als Vorstandschef zurückgetreten. Zuvor hatte er den Betrug von VW zugegeben und sich dafür entschuldigt. Weltweit sind bis zu elf Millionen Fahrzeuge von dem Skandal betroffen, der den Ruf des weltweit größten Autobauers schwer ramponiert hat. Davon entfallen allein auf die Marke VW Pkw fünf Millionen Wagen, bei Audi sind es 2,1 Millionen Fahrzeuge und bei Skoda 1,2 Millionen Stück.
Winterkorns Nachfolger Matthias Müller, der zuvor die Geschicke von Porsche geleitet hat, hat eine schonungslose Aufklärung der Manipulationen bei den Emissionswerten von Diesel-Motoren angekündigt. Wie die Nachrichtenagentur Reuters von Insidern erfuhr, suspendierte der Wolfsburger Autobauer drei weitere Vorstände. Die Entwicklungschefs der Marken Audi, VW Pkw und Porsche, Ulrich Hackenberg, Heinz-Jakob Neußer und Wolfgang Hatz, seien von ihren Aufgaben entbunden worden, sagten mehrere mit den Vorgängen vertraute Personen. Derzeit werde ermittelt, inwieweit die Manager in die Abgas-Manipulationen verwickelt seien. VW wollte sich mit Verweis auf arbeitsrechtliche Auseinandersetzungen nicht zu den Suspendierungen äußern.
Audi-Entwicklungschef Hackenberg hat einem Insider zufolge rechtliche Schritte gegen seine Beurlaubung eingeleitet. Er war 2007 zusammen mit Winterkorn von Audi nach Wolfsburg gewechselt und gilt als Erfinder des Baukastensystems, das Volkswagen derzeit bei immer mehr Marken einführt. Später kehrte Hackenberg nach Ingolstadt zurück, um Audi mit neuen Elektroautos auf die Sprünge zu helfen.
Volkswagen muss wegen des Skandals nicht nur um seinen Ruf fürchten und mit massiven Schadensersatzforderungen rechnen. Jetzt wurde auch bekannt, dass Spanien von der VW-Tochter Seat Subventionen für spritsparende Autos zurückfordern will, wenn sie nicht den Abgas-Regeln entsprechen. In der Schweiz gilt nach Abgabn des Importeurs Amag ein Verkaufsstopp für die betroffenen Autos.
AUFSICHTSRATS-PRÄSIDIUM TAGT
Volkswagen will in den nächsten Tagen einen Maßnahmen- und Zeitplan veröffentlichen. Daraus werde hervorgehen, welche Fahrzeuge wann zurückgerufen werden sollten, kündigte ein Sprecher an. Dazu liefen derzeit weltweit Gespräche mit den Behörden. Am Mittwoch tagt Insidern zufolge erneut das Aufsichtsratspräsdium, um die Aufklärung der Abgasaffäre voranzutreiben.
Das Flensburger Kraftfahrt-Bundesamt (KBA) hat VW bis zum 7. Oktober eine Frist gesetzt. Bis dahin sollen die Wolfsburger einen konkreten Plan vorlegen, wann ihre Fahrzeuge ohne Manipulationssoftware die Abgas-Vorgaben einhalten. Wie lange Volkswagen am Ende Zeit zur Nachbesserung haben werde, lasse sich noch nicht absehen. "Von vornherein zu sagen, in einem halben Jahr muss das erledigt sein, wäre wahrscheinlich unrealistisch", sagte ein KBA-Sprecher. Falls die Nachbesserung nicht gelingen sollte, drohten den betroffenen Fahrzeugen auf Deutschlands Straßen der Verlust der Zulassung und den entsprechenden Modellen ein Verkaufsverbot. In Deutschland sind insgesamt 2,8 Millionen Fahrzeuge des Wolfsburger Konzerns mit manipulierten Abgas-Systemen unterwegs.
VW-AKTIE WEITER AUF TALFAHRT
An der Börse hat die VW-Aktie im Zuge des Abgas-Skandals in der vergangenen Woche massiv an Wert verloren. Zeitweise büßte der Wolfsburger Konzern fast ein Viertel seines Börsenwerts ein. Auch am Montag war das Papier mit einem Minus von fast neun Prozent der größte Verlierer im Leitindex Dax.
Volkswagen drohen massive Schadensersatzforderungen. In den USA sei eine erste Klage von Aktionären anhängig, berichtete das "Handelsblatt" in seiner Onlineausgabe. Ein Pensionsfonds aus Michigan habe diese auf den Weg gebracht. ADR-Investoren hätten durch die Abgas-Affäre Hunderte Millionen Dollar verloren, so der Klagevorwurf. Seit Bekanntwerden des Skandals vor anderthalb Wochen hätten die ADR, ähnlich wie die Aktie, fast ein Drittel an Wert verloren. Der Fonds wolle auch andere Aktionäre vertreten und suche nach Unterstützern, berichtete die Zeitung.
Seit Bekanntwerden des Skandals sind in den USA zudem mindestens zwei Dutzend Klagen von Autobesitzern eingereicht worden. Deren Anwälte argumentieren damit, dass VW die Kunden getäuscht habe. Diese hätten mehr gezahlt, um vermeintlich umweltfreundliche Autos zu fahren.
Die Landesbank Baden-Württemberg schätzt, dass sich der Schaden am Ende weltweit auf fast 50 Milliarden Euro summieren könnte. Dabei gehen die Analysten allein in den USA von 16 Milliarden Euro für Strafzahlungen und zehn Milliarden Euro an Kosten für den Rückkauf beanstandeter Fahrzeuge aus.