Reuters

VW zieht in Abgas-Affäre Top-Personalien vor

01.10.2015
um 22:01 Uhr

- von Andreas Cremer und Jan Schwartz

Berlin/Hamburg (Reuters) - Volkswagen zieht wegen des Abgas-Skandals den Wechsel von Hans Dieter Pötsch in den Aufsichtsrat vor.

Der bisherige Finanzvorstand soll so bald wie möglich den amtierenden Aufsichtsratsvorsitzenden, Ex-IG-Metall-Chef Berthold Huber, ablösen. Zu seinem Nachfolger schlug das Aufsichtsratspräsidium Frank Witter vor, der bisher Chef der Leasing- und Banktochter VW Financial Services ist. Pötsch soll den wegen der Manipulation von Abgaswerten ins Schlingern geratenen Wolfsburger Autokonzern zusammen mit dem neuen Vorstandschef Matthias Müller in der Spur halten.

VW teilte am Donnerstag zudem mit, dass sich die Untersuchungen über die Hintergründe der Affäre noch mehrere Monate hinziehen werden. Der Vorstand versprach, die Öffentlichkeit in der nächsten Woche über erste Zwischenergebnisse zu informieren. Trotz des Skandals konnte VW seinen US-Absatz im September stabil halten.

Statt auf einer außerordentlichen Hauptversammlung am 9. November soll Pötsch durch das Amtsgericht Braunschweig bestellt werden. Die Personalien müssen noch vom 20-köpfigen Aufsichtsrat abgesegnet werden. Das ursprünglich geplante außerordentliche Aktionärstreffen wurde abgesagt. Der engere Führungszirkel um Huber, Betriebsratschef Bernd Osterloh, Niedersachsens Ministerpräsident Stephan Weil und Wolfgang Porsche als Sprecher der Eignerfamilien Porsche und Piech hatte am Mittwoch bis spät in die Nacht getagt und sich über den Stand der Ermittlungen in dem Abgas-Skandal informieren lassen. Nun soll ein Sonderausschuss, dem neben Huber und Osterloh unter anderem auch der niedersächsische Wirtschaftminister Olaf Lies angehören wird, die Aufarbeitung des Skandals koordinieren. Weil sagte, er lege "großen Wert darauf, dass der VW-Konzern immer wieder von sich aus die ihm vorliegenden gesicherten Informationen veröffentlichen wird".

KOMMT EIN NEUES SPARPROGRAMM?

Zugleich macht sich die VW-Führung Insidern zufolge Gedanken, wie angesichts drohender Strafzahlungen und Sammelklagen in Milliardenhöhe verhindert werden kann, dass die Finanzpolster des Konzerns abschmelzen. Als mögliche Schritte würden Kostensenkungen sowie Einnahmeerhöhungen diskutiert, sagten zwei mit den Beratungen vertraute Personen der Nachrichtenagentur Reuters. Der Aufsichtsrat sei besorgt, weil alle großen Ratingagenturen Volkswagen mit der Herabstufung der Bonität drohten. Der Konzern selbst wollte sich nicht äußern.

Die Wolfsburger hatten zuletzt fast 18 Milliarden Euro Bargeld und Wertpapiere im Wert von gut 15 Milliarden in den Büchern. Rund die Hälfte davon sollte der Konzern nach Meinung von Analysten in der Hinterhand behalten, um zahlungsfähig zu bleiben. Dann blieben rund 17 Milliarden Euro, die Volkswagen zur Bewältigung der Krise locker machen könnte.

Noch-Finanzvorstand Pötsch hatte in der Vergangenheit zehn Milliarden Euro als Minimum bezeichnet, um die Geschäfte am Laufen zu halten. Ein Insider sagte, wenn der Geldabfluss durch den Abgas-Skandal ein kritisches Niveau erreichen sollte, käme auch eine Kapitalerhöhung infrage. Volkswagen könnte aktuell durch die Ausgabe von Vorzugsaktien etwa acht Milliarden Euro einnehmen. Das Unternehmen wollte sich nicht äußern.

Unterdessen hat ein Landkreis im US-Bundesstaat Texas VW als erste Regierungsbehörde wegen des Abgasskandals verklagt. In dem angestrengten Gerichtsverfahren fordert Harris County bis zu 25.000 Dollar pro Verstoß pro Tag. VW habe durch sein betrügerisches Handeln die Bemühungen des Landkreises zur Verbesserung der Luftqualität und zum Schutz der Bürger untergraben. In Harris County liegt unter anderem die Millionenmetropole Houston. Das Bußgeld könnte sich auf mehr als 100 Millionen Dollar belaufen, berichtete die "Frankfurter Allgemeine Zeitung".

Zivilklagen und Strafverfolgung könnten auf den Konzern in Deutschland im Zusammenhang mit Steuersubventionen für kraftstoffsparsame Diesel-Fahrzeuge, die 2005 eingeführt wurden, zukommen. Auch hier sind Bußgelder möglich. In Italien haben Verbraucherschützer eine Sammelklage bei einem Gericht in Venedig eingereicht. In Österreich bietet der Verein für Konsumentenschutzinformationen (VKI) VW-Kunden an, sich an einer Sammelaktion auf Schadenersatz zu beteiligen. Klagen sind auch von VW-Aktienanlegern möglich, die sich bei ihrer Kaufentscheidung durch mangelnde Information getäuscht fühlen.

Alle Ratingagenturen haben vor diesem Hintergrund die Bonitätseinschätzung von VW auf den Prüfstand gestellt. Fitch prüft eine Herabstufung des Ratings. Moody's hatte den Ausblick auf negativ gesenkt. Auch Standard&Poors hat VW auf "creditwatch negative" gesetzt. Eine Herabstufung der Kreditwürdigkeit würde die Refinanzierung des Konzerns verteuern.

Volkswagen AG Vz.

WKN 766403 ISIN DE0007664039