- von Patricia Weiss
Bonn (Reuters) - Die Anteilseigner von Bayer haben der Führung des Pharma- und Agrarchemiekonzerns einen historischen Denkzettel verpasst.
Auf der Hauptversammlung am Freitag in Bonn wurde der Vorstand nicht entlastet. Werner Baumann ist damit der erste amtierende Vorstandschef eines Dax-Konzerns, dem die Aktionäre das Vertrauen entzogen haben. Zuvor waren sie mit dem Management wegen der massiven Kursverluste seit der Monsanto-Übernahme und der endlos langen Liste an Rechtsstreitigkeiten, die sich das Unternehmen damit einkaufte, hart ins Gericht gegangen. "Das Abstimmungsergebnis ist eine Blamage. Innerhalb so kurzer Zeit das Vertrauen sehr vieler Investoren zu verspielen, hat historische Dimensionen", sagte Ingo Speich, Leiter Nachhaltigkeit und Corporate Governance beim Fondshaus Deka.
Für die Entlastung des Bayer-Vorstands wurden nur 44,48 Prozent der Aktionärsstimmen abgegeben. Dem Aufsichtsrat sprachen zwar auf der mehr als zwölf Stunden dauernden Hauptversammlung 66,38 Prozent des anwesenden Kapitals das Vertrauen aus. Üblich sind in Deutschland aber Zustimmungsraten von 95 Prozent und mehr. Bei Bayer waren im vergangenen Jahr noch über 97 Prozent der Aktionäre für eine Entlastung. Rechtliche Folgen hat dieser Schritt zwar nicht. Die Voten gelten aber als wichtiger Indikator dafür, wie viel Vertrauen die Aktionäre in die Unternehmensführung haben. Aktuell läuft noch eine Aufsichtsratssitzung, wie ein Sprecher erklärte.
Bei der Deutschen Bank waren die Resultate vor einigen Jahren mit einer Zustimmung von rund 61 Prozent so verheerend, dass die beiden damaligen Co-Chefs Anshu Jain und Jürgen Fitschen kurze Zeit später ihren Rückzug ankündigten. Die beiden großen deutschen Fondsgesellschaften Union Investment und Deka hatten vor der Abstimmung bekannt gegeben, dass sie Vorstand und Aufsichtsrat nicht entlasten werden, die DWS wollte sich enthalten. Der größte Bayer-Aktionär Blackrock wollte sich Insidern zufolge ebenfalls enthalten oder die Entlastung verweigern. Auch die einflussreichen Stimmrechtsberater ISS und Glass Lewis empfahlen, den Vorstand nicht zu entlasten, letztere sprachen sich dafür aus, auch dem Aufsichtsrat das Vertrauen zu entziehen.
INVESTOR - NEUES MANAGEMENT WÜRDE CHAOS VERGRÖßERN
Speich von Union Investment ging das Bayer-Management zwar scharf an und sagte, man stehe vor einem Scherbenhaufen. "Innerhalb von nur zwei Jahren ist der einstige Pharmagigant zu einem Zwerg mutiert." Er warnte allerdings vor einem Austausch der Führungsriege. Davon sollte derzeit tunlichst Abstand genommen werden, das Chaos würde dadurch noch vergrößert. "Bei der Komplexität des Unternehmens würde Bayer wichtige Zeit verlieren, wenn sich ein neues Management einarbeiten müsste. Niemand kann wollen, dass neben all dem Chaos auch noch das Tagesgeschäft brachliegt."
"KEINE ROUTINE-HAUPTVERSAMMLUNG"
Bayer-Chef Baumann hatte die Monsanto-Übernahme vor den Aktionären erneut als richtigen Schritt verteidigt. Der Vorstand habe die Chancen und Risiken des Zukaufs sorgfältig abgewogen. An den erheblichen Kursverlusten gebe es aber "nichts zu beschönigen". Aufsichtsratschef Werner Wenning entschuldigte sich dafür bei den Anteilseignern: "Das bedauern wir sehr." Das heutige Aktionärstreffen sei "keine Routine-Hauptversammlung". "Die Klagen und die ersten Urteile zu Glyphosat lasten schwer auf unserem Unternehmen und verunsichern viele Menschen", gestand Baumann ein.
Analyst Janne Werning von der Fondsgesellschaft Union Investment äußerte Zweifel, ob die Monsanto-Übernahme noch eine Erfolgsgeschichte werden kann. "Zwar liegen die Vorteile einer Kombination von Agrochemie- und Saatgutgeschäft anscheinend auf der Hand, doch warum musste es ausgerechnet Monsanto sein, das umstrittenste Unternehmen der Branche?" Nach Einschätzung von Speich läuft Bayer Gefahr, "zum Spielball der Märkte zu werden und riskiert, selbst übernommen oder sogar zerschlagen zu werden". Aktuell ist das einst wertvollste Unternehmen im Dax nur noch gut 57 Milliarden Euro wert - gerade so viel, wie es für Monsanto gezahlt hat. Die Bayer-Führung habe die mit dem Zukauf verbundenen Rechtsrisiken unterschätzt, kritisierten Aktionäre.
In den USA sieht sich Bayer mit mehr als 13.000 Klägern wegen der angeblich krebserregenden Wirkung des von Monsanto entwickelten Herbizids konfrontiert. In zwei Fällen wurde der Konzern bereits zu millionenschweren Schadenersatzzahlungen verurteilt. "Wir arbeiten mit Hochdruck daran, uns in Berufungsverfahren und den kommenden Gerichtsverhandlungen erfolgreich zu verteidigen", sagte Baumann. Bayer sei nach wie vor von der Sicherheit von Glyphosat überzeugt.
Umweltschützer sehen das anders. Rund 500 Bayer-Gegner, darunter auch die Bewegung "Fridays for Future", protestierten nach Polizeiangaben vor den Toren der Hauptversammlung. Aktionäre mussten auf dem Weg in das Bonner World Conference Center über ein Meer von toten Bienen laufen, die Bienenschützer und Imker auf den Weg geschüttet hatten. "Glyphosat, summ summ summ, es bringt uns um", stand auf den Plakaten.