Reuters

Bundesregierung zieht Daumenschrauben bei VW an

04.11.2015
um 15:56 Uhr

München (Reuters) - Nach den neu eingestandenen Mängeln im Abgasskandal erhöht die Bundesregierung den Druck auf Volkswagen und die Führungsspitze um Matthias Müller.

Bei dem Wolfsburger Konzern müsse alles umgedreht und angeschaut werden, forderte Bundesverkehrsminister Alexander Dobrindt am Mittwoch in Berlin. Jetzt würden die Diesel-Modelle von VW nicht nur wegen der Manipulation von Stickoxid-Emissionen, sondern auch auf die CO2-Emissionen hin geprüft. Auch Regierungssprecher Steffen Seibert forderte eine umfassende Aufklärung. Der Konzern müsse seine Strukturen verändern. Das Land Niedersachsen als zweitgrößter VW-Aktionär steht unterdessen zur Konzernspitze. "Im Moment gibt es für uns keinen Anlass, an der Zusammensetzung von Vorstand und Aufsichtsrat zu zweifeln", sagte eine Sprecherin der Staatskanzlei.

Am Dienstagabend hatte Volkswagen falsche Angaben zu CO2-Werten und beim Kraftstoffverbrauch eingeräumt. Drehte sich der VW-Skandal bislang um die Manipulation von Abgas-Werten bei elf Millionen Diesel-Fahrzeugen, könnten jetzt auch Wagen mit Benzinmotoren betroffen sein. "Eine neue Woche, ein neuer Schock in der VW-Saga", fasste Stuart Person, Analyst bei Exane BNB Paribas, die Entwicklungen zusammen. Die Aktie rauschte zeitweise um knapp elf Prozent in die Tiefe.

Die neuen Unregelmäßigkeiten betreffen Volkswagen zufolge rund 800.000 Fahrzeuge. Bei den Modellen mit Benzin-Motoren handele es sich um den Polo und den Audi A1 mit 1,4-Liter-Motor. Die große Mehrzahl der Autos seien mit Diesel-Motoren mit 1,4, 1,6 und 2,0 Litern Hubraum ausgestattet. Betroffen seien Modelle wie VW Golf, Passat und Polo, Audi A1 und A3, Skoda Octavia und Seat Ibiza. VW schätzt das zusätzliche Risiko auf rund zwei Milliarden Euro. Analyst Pearson geht dagegen von vier Milliarden Euro Zusatzkosten aus. Zudem werde sich dies stärker auf die Verkäufe auswirken. Analyst Arndt Ellinghorst von Evercore ISI schrieb, das Ausmaß der Tricksereien sei "jenseits der Vorstellungskraft". Er begrüßte aber den offenen Umgang mit dem CO2-Thema. "VW gräbt tief und findet eine Menge unerfreuliches Zeug."

WILLE ZUR AUFKLÄRUNG

Bundesverkehrsminister Alexander Dobrindt sagte, die Probleme bei VW müssten ohne Belastungen für die Kunden behoben werden. "Ich gehe weiterhin davon aus, dass Volkswagen mit seiner Führung alle Anstrengungen unternimmt, den Schaden zu beheben, für Transparenz und Aufklärung zu sorgen." Die Kunden dürften dabei nicht belastet werden. Bundeswirtschaftsminister Sigmar Gabriel wertete das Eingeständnis der Mängel bei CO2-Werten als Beweis für den Aufklärungswillen des Konzerns. Was aufgedeckt wurde, habe VW selbst ermittelt, sagte der SPD-Vorsitzende in Berlin. "Das ist ein Beweis dafür, dass sie es ernst meinen."

Niedersachsens Ministerpräsident Stephan Weil betrachte die neuerlichen Unregelmäßigkeiten mit großer Betroffenheit und Sorge, sagte die Sprecherin der Staatskanzlei vor Journalisten in Hannover. Das Land Niedersachsen, das 20 Prozent an VW hält, will sich noch enger über den Aufklärungsprozess informieren lassen. "Es wird in den nächsten Tagen diverse Schalten und Sitzungen geben." Auf die Frage, ob der Vorstandsvorsitzende Matthias Müller wegen seiner früheren Tätigkeit als Porsche-Chef der Richtige für den Wolfsburger Konzern sei, antwortete die Sprecherin: "Es ist aus meiner Sicht viel zu früh, diese Frage zu stellen." Man müsse die weiteren Aufklärungsschritte abwarten. Jürgen Pieper vom Bankhaus Metzler sagte, Müller als ehemaliger Porsche-Chef müsse sich die Frage stellen, ob er ebenfalls Verantwortung trage.

Die US-Umweltbehörde EPA hatte VW am Montag vorgeworfen, auch bei Motoren mit drei Litern Hubraum getrickst zu haben. Der Konzern wies dies zurück. Von den neuen Ermittlungen ist auch die Konzerntochter Porsche betroffen, deren Chef Müller vor seinem Wechsel an die VW-Spitze war. Als Konsequenz aus den Vorwürfen setzte Porsche den Verkauf von Dieselmodellen des Geländewagens Cayenne in Nordamerika aus. Diese Maßnahme geschehe freiwillig und betreffe Fahrzeuge der Modelljahre 2014 bis 2016, teilte der Sportwagenbauer mit. Auch die VW-Tochter Audi stoppte einem Sprecher zufolge den Verkauf von Fahrzeugen mit 3-Liter-Dieselmotoren der Modellreihen A6, A7, A8, Q5 und Q7.

Volkswagen AG Vz.

WKN 766403 ISIN DE0007664039