- von Christian Krämer
Berlin (Reuters) - Der milliardenschwere Wirecard-Bilanzskandal soll in einem parlamentarischen Untersuchungsausschuss aufgearbeitet werden.
Darauf haben sich Grüne, Linke und FDP verständigt, die im Bundestag genügend Stimmen haben, um das Gremium zu erzwingen. Der Zahlungsabwickler war im Juni nach dem Bekanntwerden milliardenschwerer Luftbuchungen in die Pleite gerutscht. Die Staatsanwaltschaft ermittelt unter anderem wegen Bilanzfälschung, Betrug, Marktmanipulation und Geldwäsche. Es folgen wichtige Fragen und Antworten zum geplanten Untersuchungsausschuss:
WARUM IST DER FALL FÜR DIE POLITIK SO HEIKEL?
Es trägt nicht nur ein Ministerium die Verantwortung - entsprechend wird der Schwarze Peter nun munter hin- und hergeschoben. Die Bonner Finanzaufsicht BaFin, die dem von SPD-Kanzlerkandidat Olaf Scholz geführten Bundesfinanzministerium unterstellt ist, hat Experten zufolge keine rühmliche Rolle gespielt. Scholz will ihr mehr Befugnisse geben, damit sie bei ähnlichen Fällen künftig schneller eingreifen kann. Damit er im Wahlkampf nicht beschädigt wird, versucht die SPD, die politische Verantwortung zu verteilen. SPD-Finanzpolitikerin Cansel Kiziltepe sagt, die Wirtschaftsprüfer hätten über Jahre versagt. Dazu habe Scholz Reformvorschläge gemacht: "Doch der Wirtschaftsminister schweigt noch immer, obwohl er in der Verantwortung steht", sagt sie mit Blick auf den CDU-Politiker Peter Altmaier. Zudem habe sich das Kanzleramt bei einer China-Reise im September 2019 für Wirecard eingesetzt, trotz Medienberichten über Ungereimtheiten in der Bilanz. "Der Wirecard-Lobbyismus im Kanzleramt ist erschreckend", so Kiziltepe. SPD-Politiker Jens Zimmermann rückt zudem Bayern und die Landesregierung in den Fokus. Hier seien Hinweise zu möglichen Geldwäsche-Verstößen versandet.
WIRD DER UNTERSUCHUNGSAUSSCHUSS THEMA IM WAHLKAMPF?
Derart komplexe Finanzthemen eignen sich in der Regel nicht für den Wahlkampf. Der Untersuchungsausschuss dürfte das für die Regierung unangenehme Thema aber zumindest ins Wahljahr 2021 hineinziehen. FDP-Finanzpolitiker Florian Toncar rechnet erst im Sommer nächsten Jahres mit einem Abschlussbericht zum Fall - also wenige Monate vor der Bundestagswahl. Verfehlungen der Regierung dürften so regelmäßig in Medien eine Rolle spielen.
WANN KOMMT DER U-AUSSCHUSS GENAU?
Erklärtes Ziel der Opposition ist, dass es noch im September losgeht. Momentan wird ein konkreter Untersuchungsauftrag ausformuliert. "Das sind gute Gespräche. Wir wollen so schnell wie möglich mit der Arbeit im Ausschuss beginnen", sagt Grünen-Politiker Danyal Bayaz zu Reuters. Laut FDP könnte der Auftrag nächste Woche stehen, Ende nächster Woche dann die ersten Beratungen im Plenum des Bundestages folgen. Darauf würde es dann - tendenziell Mitte des Monats oder in der zweiten Septemberhälfte - Beratungen des Geschäftsordnungsausschusses geben, ob der Untersuchungsauftrag allen juristischen Anforderungen genügt. Darauf wiederum würde er abschließend im Plenum behandelt.
BRINGT DER UNTERSUCHUNGSAUSSCHUSS ÜBERHAUPT ETWAS?
Der Finanzexperte Hans-Peter Burghof von der Universität Hohenheim spricht von einem Schritt in die richtige Richtung, sofern er richtig aufgesetzt werde: "Überprüft werden muss die Effizienz der Aufsichtssysteme. Die strukturellen Schwächen müssen aufgedeckt werden." Burghof zufolge sollte sich die BaFin auf wenige große Fälle konzentrieren. "Die BaFin braucht nicht noch mehr Mitarbeiter und noch mehr Aufgaben. Man muss ihr mehr Freiheiten geben, ihre Rolle auszufüllen und eigene Entscheidungen zu treffen. Sie braucht auch mehr Ökonomen statt der vielen Juristen." Es gehe zu viel um kleine Banken, deren Pleite für das Gesamtsystem kaum eine Rolle spielen würde.
WAS PLANEN SCHOLZ UND DIE REGIERUNG?
Der SPD-Politiker will die BaFin mit Sonderprüfungsrechten stärken und Wirtschaftsprüfer schärfer kontrollieren. Das zweistufige Verfahren zur Bilanzkontrolle mit einer Vorschaltung der privat-rechtlichen Deutschen Prüfstelle für Rechnungslegung soll abgeschafft werden. Die Ergebnisse des U-Ausschusses will er dabei nicht abwarten. Laut Justizministerin Christine Lambrecht (SPD) wird die Bundesregierung im September Konsequenzen aus dem Wirecard-Skandal ziehen. Finanz-Professor Burghof sagt, es gebe jetzt bereits ein komplexes System mit sehr viel Regulierung, am Ende fühle sich dann aber niemand konkret zuständig: "Das führt zu einer strukturellen Verantwortungslosigkeit."
GIBT ES NOCH STOLPERSTEINE AUF DEM WEG ZUM U-AUSSCHUSS?
Politisch heikel ist, dass der Ausschuss zwar mit den Stimmen von Grünen, Linken und FDP erzwungen werden kann, der Vorsitz nach dem üblichen Prozedere im Bundestag aber der rechtspopulistischen AfD zustehen dürfte. Die AfD ist eigentlich auch für einen Untersuchungsausschuss, wird von den anderen Oppositionsparteien aber nicht in die Vorbereitung einbezogen, weil sie auch so genug Stimmen haben. Spannend wird daher, wen die AfD als Ausschussvorsitzenden vorschlagen wird. "In jedem Fall sollte der oder die Vorsitzende eine Person mit Kompetenz und Integrität sein", fordert Grünen-Politiker Bayaz. FDP-Politiker Toncar fordert eine Persönlichkeit, die die Geschäftsordnung gut kenne und keine Parteipolitik im Ausschuss betreibe. AfD-Finanzpolitiker Kay Gottschalk hat sich bereits ins Spiel gebracht. Er will den Vorsitz übernehmen, wie er dem ZDF sagt. Er habe die Unterstützung seiner Fraktion - offen ist, ob ihn auch die anderen Fraktionen wählen werden.