Reuters

Streit um Impfstoff und Brexit reizt EU und Großbritannien

10.03.2021
um 17:07 Uhr

Brüssel/London (Reuters) - Zwischen der Europäischen Union und Großbritannien reißen die Reibereien wegen umstrittener Begrenzungen von Impfstoff-Ausfuhren und der Auslegung des Brexit-Vertrages nicht ab.

Die britische Regierung bestellte am Mittwoch eine hochrangige EU-Vertreterin ins Außenministerium ein, nachdem EU-Ratspräsident Charles Michel am Vortag Großbritannien vorgehalten hatte, Exporte eines Vakzins unterbunden zu haben. Premierminister Boris Johnson schaltete sich in den Disput ein und "korrigierte" nach eigenen Worten im Unterhaus die Darstellung Michels: "Lassen Sie mich ganz klar sein, wir haben niemals den Export auch nur einer einzigen Dosis oder von Komponenten für die Impfstoffe blockiert."

Michel hatte erklärt, es gebe verschiedene Wege, um Exporte zu stoppen. Er stützte sich dabei auf Angaben von EU-Vertretern, die demnach vom schwedisch-britischen Konzern AstraZeneca darüber informiert worden waren, das Großbritannien durch eine "Vereinigtes Königreich zuerst"-Klausel in den Abnahmeverträgen die Ausfuhren verhindert. AstraZeneca ist das einzige Unternehmen, das Impfstoffe auch in Großbritannien herstellt. Die EU hatte sich wiederholt beschwert, der Konzern halte seine Lieferzusagen nicht ein.

Umgekehrt warfen die Briten der EU einen "Impfnationalismus" vor, als die EU-Spitze sich vergangene Woche hinter eine Entscheidung Italiens stellte, den Export von Impfstoffen nach Australien zu stoppen. Zudem nimmt die britische Regierung für sich in Anspruch, eine führende Rolle in der Covax-Initiative für eine weltweit gerechte Verteilung des Impfstoffs einzunehmen. Im Außenministerium hieß es, Minister Dominic Raab habe an Michel einen Brief geschrieben, um die Dinge richtigzustellen.

WIEDER ÄRGER UM GRENZE ZWISCHEN IRLAND UND NORDIRLAND

Bereits im Januar war es zu einem Zerwürfnis gekommen, als die EU-Kommission Kontrollen an der Grenze zwischen Irland und der britischen Provinz Nordirland einführen wollte, um Impfstoff-Exporte nach Großbritannien zu verhindern. Nach massiven Protesten und dem Vorwurf, derartige Kontrollen widersprächen dem Brexit-Vertrag, gab die EU die Pläne auf. Allerdings gilt aus EU-Sicht, dass Großbritannien den Warenverkehr zwischen der Hauptinsel und Nordirland kontrollieren muss, damit Grenzkontrollen zwischen der britischen Provinz und Irland ausbleiben können. Trotzdem verlängerte Großbritannien vor sieben Tagen die Aussetzung der Kontrollen von Lebensmittel-Exporten nach Nordirland.

"Dies war eine weitere Provokation", sagte ein EU-Diplomat Reuters. "Es war nicht die Erste und niemand erwartet, dass es die Letzte war." Ein anderer EU-Diplomat erklärte, die "Wortgefechte" seien die neue Normalität zwischen dem Block und Großbritannien. Mit zunehmender wirtschaftlicher Auseinanderentwicklung und Konkurrenz werde der Druck auf die Brexit-Vereinbarungen über die Handelsbeziehungen wachsen. Führende britische Politiker signalisierten unterdessen, Großbritannien es werde gegenüber der EU eine entschlossenere Haltung einnehmen.

AstraZeneca PLC

WKN 886455 ISIN GB0009895292