Reuters

Bund und Länder schränken Impfungen mit AstraZeneca erneut ein

31.03.2021
um 07:07 Uhr

- von Andreas Rinke und Alexander Ratz und Patricia Weiss

Berlin/Frankfurt (Reuters) - Die Impfkampagne in Deutschland erhält eine neue Wende: Nach Meldungen über weitere Hirnvenenthrombosen vereinbarten Kanzlerin Angela Merkel und die 16 Ministerpräsidenten, dass die Impfung mit dem Präparat des Pharmakonzerns AstraZeneca nur noch für Menschen ab 60 Jahren uneingeschränkt eingesetzt werden soll.

Für Personen unter 60 Jahren soll dies nur noch nach intensiver ärztlicher Beratung möglich sein. Die Ständige Impfkommission (Stiko) soll bis Ende April prüfen, ob für eine Zweitimpfung auch ein anderer Impfstoff eingesetzt werden kann. Personen können nach ärztlicher Beratung aber auch eine zweite Impfung mit AstraZeneca erhalten.

Die Bundesländer sollen jetzt auch die 60- bis 69-Jährigen in die Impfkampagne mit AstraZeneca miteinbeziehen können - damit wird auch eine Impfung von etlichen Spitzenpolitikern möglich, die bisher auf die Prioritätensetzung der Stiko verwiesen hatten. "Wenn ich dran bin, lasse ich mich impfen – auch mit AstraZeneca", sagte Merkel. Gesundheitsminister Jens Spahn (CDU) hatte nach Informationen von Reuters aus Teilnehmerkreisen in der Bund-Länder-Schalte auch Ministerpräsidenten über 60 aufgefordert, sich nun als Vorbild impfen zu lassen, um das Vertrauen in AstraZeneca zu stärken. "Die Älteren in dieser wachsenden dritten Welle zu schützen, ist wichtig", sagte er in einer gemeinsamen Pressekonferenz mit der Kanzlerin.

Sowohl Merkel, Spahn als auch der Vorsitzende der Gesundheitsministerkonferenz, Bayerns Gesundheitsminister Klaus Holetschek (CSU), betonten, dass es sich um einen verlässlichen Impfstoff handele. Dennoch sei es wichtig für das Vertrauen der Bürger, dass allen Hinweisen auf Risiken nachgegangen werde, betonte die Kanzlerin. "Unter allen Abwägungen ist dies der Weg, der noch zu dem möglichst besten Vertrauen führt", sagte Merkel. Informationen über Impfrisiken dürften nicht unter den Teppich gekehrt werden. Die Bund-Länder-Chefrunde folgte damit den Empfehlungen der Stiko und der Gesundheitsminister.

Auslöser der Entscheidung waren weitere Fälle sogenannter Sinusvenenthrombosen. Das zuständige Paul-Ehrlich-Institut meldete bis Dienstagmittag 31 Fälle nach der AstraZeneca-Impfung, in neun Fällen davon mit tödlichem Ausgang. In 19 Fällen habe zusätzlich ein Mangel an Blutplättchen vorgelegen. Mit Ausnahme von zwei Fällen seien Frauen im Alter von 20 bis 63 Jahren betroffen gewesen. Bis Dienstagmorgen wurden in Deutschland 2,7 Millionen Dosen AstraZeneca verimpft.

Erst Mitte März war in Deutschland und etlichen anderen europäischen Ländern der Impfstoff wegen der Meldung seltener Thrombose-Fälle für mehrere Tage ausgesetzt worden, damit die europäische Arzneimittelbehörde EMA die Vorfälle untersuchen konnte. Zunächst hatte es dafür Kritik am Vorgehen von Spahn gegeben. Das Gesundheitsministerium hatte zum damaligen Zeitpunkt von acht Fällen in Deutschland nach 1,6 Millionen Impfungen berichtet, statistisch wären aber nur eins bis 1,4 Sinusvenenthrombose-Fälle zu erwarten gewesen. Die EMA plant in der kommenden Woche eine aktualisierte Empfehlung.

Das Robert-Koch-Institut veröffentlichte vor der Entscheidung der Gesundheitsminister eine Stellungnahme der Ständigen Impfkommission (Stiko), die eine Begrenzung der Impfungen auf die ab 60-Jährigen vorsieht. Der Erlanger Virologe Klaus Überla, der Stiko-Mitglied ist, rechtfertigte die Entscheidung des Gremiums. "Die Daten sprechen für einen kausalen Zusammenhang zwischen der Impfung von unter 55-jährigen Frauen mit AstraZeneca und dem Auftreten von Hirnvenenthrombosen bei diesen Frauen - auch wenn das seltene Ereignisse sind", sagt Überla dem Redaktionsnetzwerk Deutschland (RND). 

Astrazeneca wird nach eigenen Angaben mit den deutschen Behörden zur Klärung von Fragen rund um den Corona-Impfstoff zusammenarbeiten. Ein Konzernsprecher erklärte, das Unternehmen analysiere weiterhin seine Daten, um für zusätzliche Aufschlüsse zu sorgen. Er verwies darauf, dass weder die britischen Behörden noch die EU-Arzneimittelagentur EMA bislang einen kausalen Zusammenhang zwischen dem Impfstoff und Vorkommnissen von Blutgerinnung festgestellt hätten.

"WER SICH'S TRAUT, DER SOLL AUCH DIE MÖGLICHKEIT HABEN"

Die Bundesländer Berlin, Brandenburg und Nordrhein-Westfalen, aber auch mehrere Städte hatten schon vor den Beratungen der Gesundheitsminister die Impfungen mit Astrazeneca für unter 60-Jährige ausgesetzt. Bayerns Ministerpräsident Markus Söder (CSU) hatte sich zuvor erneut dafür ausgesprochen, den Impfstoff bei der Priorisierung freizugeben. Er habe "insgesamt kein gutes Gefühl" bei den Einschätzungen der Experten zu diesem Impfstoff. Das gehe "hin und her". Daher müsse man "irgendwann mit sehr viel Freiheit operieren" und sagen: "Wer will und wer sich's traut, der soll auch die Möglichkeit haben."

In Deutschland war der Impfstoff nach der EU-Zulassung Ende Januar zunächst nur für Menschen unter 65 Jahren freigegeben, da zum damaligen Zeitpunkt nach Einschätzung der Stiko noch nicht genügend Daten zur Wirksamkeit bei älteren Menschen vorlagen. Erst Anfang März hatte die Kommission das Mittel auch für über 65-Jährige empfohlen.

AstraZeneca PLC

WKN 886455 ISIN GB0009895292