Frankfurt (Reuters) - Die deutschen Privatbanken rechnen im Falle eines Einfuhr- oder Lieferstopps von russischem Öl- und Gas mit einer schweren Rezession in Deutschland.
"Eine deutliche Rezession in Deutschland wäre dann kaum zu vermeiden", sagte der Präsident des Bundesverbands deutscher Banken (BdB), Deutsche Bank-Chef Christian Sewing, am Montag auf einer virtuellen BdB-Veranstaltung. Die Frage nach staatlichen Hilfsmaßnahmen für Unternehmen und Branchen würde dann noch drängender werden.
Aus Sicht von Sewing ist bereits jetzt klar, dass die Konjunktur durch den Ukraine-Krieg erheblich belastet wird. "Die Chefvolkswirte der privaten Banken haben ihre Prognose gegenüber den Einschätzungen vor Ausbruch des Krieges halbiert", führte der BdB-Präsident aus. Für 2022 werde jetzt nur noch ein Wachstum von rund zwei Prozent erwartet, womit sich die Rückkehr zum Vor-Corona-Niveau weiter verzögern werde. Und selbst diese Prognose stehe unter Vorbehalt. Denn erhebliche Risiken, wie zuallererst die Energiepreise, seien noch nicht in die Berechnung eingeflossen.
"Auch die globalen Liefer- und Handelsketten werden noch einmal auf eine neue Zerreißprobe gestellt", sagte Sewing. Er verwies auf die neuen Lockdown-Maßnahmen in China im Zuge der Corona-Pandemie. Dazu kämen weiter steigende Inflationsraten in der Euro-Zone. "Mit über sieben Prozent dürften sie in diesem Halbjahr ein Niveau erreichen, das noch vor Kurzem außerhalb unserer Vorstellungskraft lag." Sewing hält im Falle eines Energieembargos sogar noch höhere Raten für wahrscheinlich. Im März war die Teuerung im Euro-Raum bereits mit einem Rekordwert von 7,5 Prozent weit über das Inflationsziel der EZB von zwei Prozent hinausgeschossen.
Die unmittelbaren wirtschaftlichen Risiken aus dem Ukraine-Krieg sind Sewing zufolge für die deutschen Banken beherrschbar. Die deutschen Geldhäuser hätten bereits seit 2014 damit begonnen, ihr Geschäft in Russland deutlich zurückzufahren, sagte er: "So ist das Engagement heute in aller Regel sehr überschaubar." Laut BdB-Hauptgeschäftsführer Christian Ossig lagen die Forderungen der deutschen Banken dort Ende November bei 7,5 Milliarden Euro. Das seien 0,4 Prozent der gesamten Auslandsforderungen der Banken.
SEWING - GELDPOLITIK MUSS GEGENSTEUERN
An die Geldpolitik gerichtet erneuerte Sewing seinen Appell, rechtzeitig einzugreifen. "Auch für die Europäische Zentralbank wird es in den kommenden Wochen und Monaten darauf ankommen zu zeigen, dass sie die Zügel fest in der Hand hält und bereit ist gegenzusteuern", sagte er. Bei allen Ungewissheiten spreche vieles dafür, schon bald die Anleihenkäufe zu beenden und ein erstes Zinssignal zu setzen. "Mit dem Ende der Negativzinspolitik könnte die EZB einen weiteren Anstieg der Inflationserwartungen begrenzen." Ein solches Signal werde dringend gebraucht.
Er erwarte, dass es zu Änderungen in den Anleihenkäufen jetzt sehr kurzfristig kommen werde, sagte Sewing. "Ich persönlich und unsere Volkswirte gehen davon aus, dass wir eine Zinsentscheidung im dritten Quartal, spätestens im vierten Quartal sehen", ergänzte er. Das müsse aber balanciert erfolgen, in kleinen Schritten. "Desto eher es geschieht, umso besser ist es für die langfristige Entwicklung der deutschen und europäischen Wirtschaft", erläuterte er. Die EZB hatte Leitzinsen letztmalig im Jahr 2011 angehoben.