(Neu: Ringtausch mit Slowenien)
- von Andreas Rinke
Berlin (Reuters) - Seit Beginn des Krieges in der Ukraine hat sich die Debatte über Waffenlieferungen an das Land national und international ständig verschoben.
Auch die Bundesregierung hat ihre Haltung mehrfach geändert. Von dem etwa von den Grünen eingeforderten klaren Nein zu Waffenexporten in Spannungsgebiete ging die Ampel-Regierung kurz nach der russischen Invasion am 24. Februar zunächst zur Lieferung von defensiven Waffen über. Angesichts der anhaltenden und sich verstärkenden russischen Angriffe folgt nun ein erneutes Umdenken bei der Lieferung schwerer Waffen - wie auch in anderen Ländern. Was vor einigen Wochen in westlichen Hauptstädten noch als rote Linie galt, wird mittlerweile teilweise überschritten. Die von der Bundesregierung verordnete Geheimhaltung über die Lieferungen macht es dabei schwierig, einen genauen Überblick zu bekommen, was die Bundesregierung der Ukraine nun tatsächlich zugesagt oder geliefert hat.
WAS WILL UND BRAUCHT DIE UKRAINE?
In der Bundesregierung wird seit Wochen gewarnt, vorsichtig mit in den Medien zirkulierenden Listen zu angeblichen Waffenwünschen der Ukraine zu sein. Es gebe eine große Kluft zwischen der Berichterstattung und den realen Wunschlisten etwa von Präsident Wolodymyr Selenskyj. Die Lieferungen würden auch nicht mit dem ukrainischen Botschafter Andrij Melnyk abgesprochen.
Die Ukraine hat allen westlichen Nato-Ländern Wunschlisten vorgelegt. Als unstrittig gilt, dass von der ursprünglichen Liste an Deutschland nach Absprache mit der Bundesregierung einige schwere Waffensysteme gestrichen wurden. Das habe verschiedene Gründe, heißt es in Regierungskreisen: Gestrichen wurde etwa der "Leopard 1"-Panzer oder "Gepard"-Flugabwehrkanonenpanzer - auch wenn deutsche Rüstungsfirmen wie Rheinmetall sie anboten. Mal sei fehlende Munition bei Herstellern der Grund gewesen, mal die Erkenntnis, dass komplexe Waffensysteme nicht so einfach bedienbar sind.
WAS KANN DIE BUNDESWEHR LIEFERN?
Anfangs stellte die Bundeswehr aus ihren Beständen etwa 500 Stinger- und bis zu 2750 Strela-Boden-Luftraketen bereit. Dazu kamen 1000 Panzerabwehrwaffen und diverses Material wie Schutzhelme. Nun seien die Möglichkeiten für die Abgabe von Gerät aber erschöpft, betonen Regierungssprecher und Verteidigungsministerium. Angesichts der selbstverordneten Geheimhaltung nannte Verteidigungsministerin Christine Lambrecht nur den Betrag von 83 Millionen Euro als Gesamtwert der Bundeswehrlieferungen. Allerdings ist das mit typischem deutschen Understatement nur der abgeschriebene Wert.
In Regierungskreisen wird darauf verwiesen, dass die Bundeswehr anders als andere Armeen nicht mehr über umfangreiche Depotbestände verfügt. Der stellvertretende Generalinspekteur Markus Laubenthal verwies im ZDF zudem auf Verpflichtungen der Bundeswehr im Rahmen der Nato und der EU. Zudem dürfe man etwa beim zuletzt noch diskutierten Marder-Schützenpanzer nicht übersehen, dass diese nur innerhalb komplexer Waffensysteme eingesetzt würden, zu dem auch Radar oder entsprechende Lenkraketen gehörten. Bei den gewünschten Raketenwerfern gebe es bei der Bundeswehr selbst Mangel.
1,4 MILLIARDEN EURO WAFFENHILFE - ABER AUF ANDEREM WEGE
Als Alternative hat die Bundesregierung nun zwei Milliarden Euro zusätzlich für Waffenkäufe zur Verfügung gestellt. Davon sind rund 1,4 Milliarden für die Bewaffnung der Ukraine bestimmt. 400 Millionen sind als deutscher Beitrag für die sogenannte European Peace Facility vorgesehen. Dieser Topf bezahlt EU-Staaten dafür, dass sie sich für die Abgabe von Waffen an die Ukraine Ersatz beschaffen können. Dies betrifft etwa die T72-Panzer, die Tschechien an die Ukraine liefert.
Es gibt aber auch kompliziertere Ringtauschsysteme zwischen Nato-Partnern. So stellt etwa die Slowakei der Ukraine das russische S300-Luftabwehrsystem zur Verfügung. Dafür stationieren Deutsche, Niederländer und Amerikaner in der Slowakei "Patriot"-Systeme, um den Luftraum des osteuropäischen Nato- und EU-Landes zu schützen. Am Donnerstag wurde bekannt, dass die Regierung mit Slowenien einen Ringtausch vereinbart hat, damit von dort T72 Panzer an die Ukraine geliefert werden. Im Gegenzug soll der EU-Partner von Deutschland mit zeitlicher Verzögerung Hilfe beim Ersatz erhalten, erfuhr Reuters aus Regierungskreisen. Ein weiterer auch von Kanzler Olaf Scholz erwähnter Weg sind Aufträge an die Industrie, die Ukraine zu beliefern und die Rechnungen zu übernehmen.
Zwischen den Nato-Staaten gibt es Absprachen über eine Arbeitsteilung, weil die Armeen unterschiedlich ausgestattet sind. Die Niederlande wollen der Ukraine Panzerhaubitzen vom Typ 2000 liefern - Deutschland bietet Ausbildung und Munition dazu an. Die Debatte über die angebliche Ablehnung "schwerer Waffen" hält man in der Regierung deshalb für überholt, weil Deutschland auch die nötige Zustimmung zur Lieferung tschechischer Panzer gab.
WO SIND DIE GRENZEN?
In der Waffenexport-Debatte haben sich auch für Nato-Partner wie die USA oder Großbritannien die Grenzen verschoben. Auch sie haben sich erst angesichts der nun großen russischen Offensive entschieden, schwere Waffen wie Artillerie zu liefern. Panzer stehen dort nicht auf der Lieferliste. US-Präsident Joe Biden hatte zudem klar gemacht, dass er zumindest bislang die Lieferung osteuropäischer MIG-29-Kampfjets an die Ukraine nicht unterstütze. Denn in der Videoschalte am Dienstag sei man sich einig gewesen, dass es keine Ausweitung des Konflikts auf die Nato geben dürfe.
(Mitarbeit: Sabine Siebold; redigiert von Ralf Bode. Bei Rückfragen wenden Sie sich bitte an unsere Redaktion unter berlin.newsroom@thomsonreuters.com)