- von Andreas Rinke
Berlin (Reuters) - China übt laut einer neuen Studie immer mehr Druck auf ausländische Unternehmen in China aus, um die Firmen politisch auf Kurs zu bringen.
Das geht aus einer Untersuchung des China-Thinktanks Merics hervor, die der Nachrichtenagentur Reuters vorliegt. Die Forscher stellten bei einer Analyse von mehr als 100 Unternehmen fest, dass die chinesische Führung mittlerweise auf mehr kontroverse Themen allergisch reagiert und die Schwelle für Druck sinkt. Zudem stieg auch die Zahl der bekanntgewordenen Fälle nach 2018 deutlich an. "Es ging darum, erstmals ein Muster zu erkennen, wann und wie China Druck ausübt", sagte Max Zenglein, einer der Autoren der vom BDI mitfinanzierten Studie zu Reuters. Das chinesische Außenministerium wollte sich zunächst nicht auf eine Reuters-Anfrage hin äußern.
So sinkt der Studie zufolge die Hemmschwelle, ab der politischer Druck beginnt: Früher habe es traditionelle "rote Linien" gegeben, etwa wenn Fragen der nationalen Souveränität, Menschenrechtsfragen in Tibet oder Xinjiang oder Gebietsansprüchen im südchinesischen Meer berührt wurden. Unternehmen würden jetzt aber schon bei "neuen roten Linien" unter Druck gesetzt - etwa bei missliebigen Äußerungen über die Entstehung des Covid-Virus oder Sanktionen gegen chinesische Unternehmen wie im Fall von Huawei beim Ausbau der 5G-Kommunikationsnetze.
Dabei nutze Peking ein ganzes Bündel an Bestrafungsmaßnahmen, heißt es in der Merics-Studie. Vor allem Konsumartikelfirmen würden mit einem Kaufboykott überzogen, der die häufigste und eine wirksame Form des Drucks auf ausländische Firmen auf dem chinesischen Markt sei. "Sehr anfällige Unternehmen werden bei der Nutzung von Marktchancen in China vorsichtiger sein müssen", raten die Merics- und BDI-Experten. "Ihre Investitionen könnten schnell an Wert verlieren, wenn ihr Unternehmen Ziel von Nötigung wird". Bekannt wurde etwa der Fall des deutschen Autokonzerns Daimler, der sich 2018 mehrfach entschuldigte, nachdem er mit einem Zitat des Dalai Lama geworben hatte.
Zudem habe Peking sein Sanktionsinstrumentarium mittlerweile ausgeweitet. Dazu gehörten Strafzahlungen, regulatorische Maßnahmen wie Ausfuhrkontrollen sowie Antidumping-Maßnahmen etwa gegen Australien. Zudem gebe es sogenannte "leere Drohungen". Damit wolle Chinas Führung Entscheidungen von Firmen beeinflussen und Angst verbreiten - ohne dass später zwangsläufig Sanktionen folgten.
Die Studie kommt zu einer Zeit, in der es ohnehin eine Debatte über eine zu starke Abhängigkeit der Wirtschaft von Märkten mit autoritären Regierungen wie China gibt. Kanzler Olaf Scholz hatte zuletzt die deutschen Firmen zu Diversifizierung ermahnt und hinzugefügt, dass die Unternehmen die Botschaft verstanden hätten. Der Handel mit China boomt aber: Seit 2015 ist die Volksrepublik der Staat, aus dem die meisten Warenimporte nach Deutschland kommen. 2021 wurden Waren im Wert von 141,7 Milliarden Euro aus der Volksrepublik importiert, das waren 20,8 Prozent mehr als im Vorjahr. Die Exporte aus Deutschland nach China legten dagegen nur um 8,1 Prozent auf 103,6 Milliarden Euro zu, womit die Volksrepublik zweitwichtigster Abnehmer deutscher Waren nach den USA war.
Die Forscher untersuchten zwischen Februar 2010 und März 2022 123 bekanntgewordene Fälle, in denen Druck auf ausländische Firmen in China ausgeübt wurde. Dies sei aber nur "die Spitze des Eisbergs", heißt es in der Studie. Denn viele Unternehmen scheuten die Öffentlichkeit. Möglicherweise gehen die Fälle Experten zufolge in die Tausende.
Den Firmen wird in der Studie geraten, klarer zu analysieren, wie angreifbar sie in China sind. Chinas wirksamste Formen der wirtschaftlicher Nötigung seien "impliziter Druck und informelle Maßnahmen", um ausländische Unternehmen im Lande zu beeinflussen. "Aus Furcht, zur Zielscheibe zu werden, vermeiden es Unternehmen möglicherweise, die ungerechte Behandlung ausländischer Firmen in China anzusprechen", schreiben die Forscher. "Oder sie halten es für das Sicherste, sich mit den Positionen und Zielen der chinesischen Regierung zu arrangieren." Dies sei aber gerade für europäischen Regierungen problematisch, die ihrerseits Erwartungen an die Firmen stellten, etwa bei der Einhaltungen von Werten. Unternehmen könnten also in eine Zwickmühle geraten.
(redigiert von Hans Seidenstücker. Bei Rückfragen wenden Sie sich bitte an unsere Redaktion unter berlin.newsroom@thomsonreuters.com (für Politik und Konjunktur) oder frankfurt.newsroom@thomsonreuters.com (für Unternehmen und Märkte).)