- von Alexander Hübner
München (Reuters) - Mitten in der Konjunkturflaute zeigt Siemens seine neue Stärke.
Der Münchner Technologiekonzern strotzt angesichts prall gefüllter Auftragsbücher vor Zuversicht und schraubt die Umsatz- und Gewinnprognose nach oben. Siemens profitiere davon, "die reale Welt mit der virtuellen zu verbinden" - das gelte für die Industrieautomatisierung ebenso wie für Gebäudetechnik und für Züge, sagte Vorstandschef Roland Busch am Donnerstag auf der virtuelle Hauptversammlung. Doch Aktionäre fordern ein noch schärferes Profil. "Es gibt zahlreiche Perlen in der Siemens-Schatzkiste, die auf ihre Entdeckung durch den Kapitalmarkt warten", sagte Ingo Speich, Experte für gute Unternehmensführung beim Wertpapierhaus Deka. Einer Trennung von der Medizintechnik-Tochter Healthineers erteilte Busch aber eine Absage, und auch auf einen raschen Ausstieg beim Energietechnik-Konzern Siemens Energy will er nicht setzen.
Der "fulminanter Start" in das neue Geschäftsjahr, von dem Siemens-Chef Busch selbst sprach, und die Widerstandsfähigkeit gegen die schwache Konjunktur verfing auch an der Börse: Die Siemens-Aktie sprang um mehr als sieben Prozent auf 150 Euro, den höchsten Stand seit mehr als einem Jahr. Der Konzern sei "auch für die nächsten Quartale bestens auf weiteres profitables Wachstum vorbereitet", sagte Finanzvorstand Ralf Thomas. "Das Investitionsklima in den für uns relevanten Märkten ist nach wie vor positiv." Und Siemens gewinne Marktanteile. Man habe sich vorübergehend mit Vorräten in Milliardenhöhe eingedeckt, um den auf 102 Milliarden Euro angeschwollenen Auftragsbestand zügiger abzubauen. "Unser klares Ziel ist, Lieferzeiten zu verkürzen", versprach Busch. Die Engpässe in den Lieferketten entspannten sich mittlerweile.
Der Schweizer Rivale ABB hatte eine Abkühlung der Nachfrage ausgemacht und rechnet für 2023 mit einem geringeren Umsatzwachstum von fünf Prozent. Siemens erwartet dagegen für das Gesamtjahr 2022/23 (Ende September) nun ein Umsatzwachstum auf vergleichbarer Basis von sieben bis zehn (bisher sechs bis neun) Prozent. Der Auftragseingang normalisiere sich, lag trotz eines Rückgangs um acht Prozent im ersten Quartal noch über dem Umsatz. Auch das bereinigte Ergebnis je Aktie soll 2022/23 mit 8,90 bis 9,40 (bisher 8,70 bis 9,20) Euro ebenfalls höher ausfallen als geplant. Der im vergangenen Geschäftsjahr durch eine 2,7 Milliarden Euro schwere Abschreibung auf Siemens Energy in Mitleidenschaft gezogene Nettogewinn dürfte deutlich stärker steigen als erwartet. Im ersten Quartal sank er auf 1,6 (2021/22: 1,8) Milliarden Euro.
BEI SIEMENS ENERGY SOLL DRUCK AUS DEM KESSEL
Fondsmanager verwiesen auf der Hauptversammlung darauf, dass die Siemens-Aktie der Konkurrenz weiter hinterherhinke. "Siemens muss weg von der Konglomerats-Struktur. Weniger ist mehr", sagte Portfoliomanagerin Vera Diehl von Union Investment. Wenn sich am Aktienkurs in den nächsten zwei Jahren wenig ändere, "wünschen wir uns eine ergebnisofferene Diskussion auch über das Portfolio", sagte Sabrina Reeh von der Fondsgesellschaft DWS. Das könne das Zug-Geschäft oder die Medizintechnik betreffen.
Vorstandschef Busch bekräftigte, Siemens wolle "langfristig Mehrheitsaktionär" bei Siemens Healthineers bleiben. Auf einen Zeitpunkt für den Verkauf der restlichen 35 Prozent an Siemens Energy wollte er sich nicht festlegen. "Nehmen Sie Druck aus dem Kessel, schieben Sie den Verkauf der Anteile in die Zukunft, damit Siemens Energy ihre Kapitalerhöhung ohne Druck durchführen kann", hatte Deka-Manager Speich ihm geraten. Für die vor der Abspaltung stehende Getriebesparte LDA kann sich Finanzvorstand Thomas neben einem Verkauf auch einen Börsengang vorstellen.
In den ersten drei Monaten 2022/23 lag der Umsatz mit 18,1 Milliarden Euro acht Prozent über dem Vorjahresniveau. Allein aus dem Auftragsbestand ergäben sich in den nächsten Monaten 40 Milliarden Euro Umsatz, sagte der Finanzchef. Beim operativen Gewinn legte Siemens zwischen Oktober und Dezember überraschend um neun Prozent auf 2,7 Milliarden Euro zu, die Experten waren von einem stagnierenden Ergebnis ausgegangen. Besser als gedacht entwickelte sich neben Digital Industries vor allem das Geschäft mit Infrastruktur- und Gebäudetechnik (Smart Infrastructure), das einen Gewinnsprung hinlegte.
Busch denkt nun angesichts der hohen Nachfrage über neue Fabriken nach, etwa in den USA zur Abwicklung der neuen Zug-Aufträge, aber auch für die Automatisierungs-Sparte Digital Industries. "Da könnte noch was kommen." Der Konzern habe die "Zurückhaltung bei den Betriebs- und Investitionsausgaben gelockert", sagte er.
(Bericht von Alexander Hübner, redigiert von Olaf Brenner. Bei Rückfragen wenden Sie sich bitte an unsere Redaktion unter berlin.newsroom@thomsonreuters.com (für Politik und Konjunktur) oder frankfurt.newsroom@thomsonreuters.com (für Unternehmen und Märkte).)