Reuters

Elektroautos für die Massen - auch made in China

04.09.2023
um 13:27 Uhr

- von Jan Schwartz und Victoria Waldersee und Christina Amann

München (Reuters) - Unter wachsendem Druck der Konkurrenz aus China arbeiten die Autobauer in Europa fieberhaft an günstigeren Elektroautos für die breite Masse der Käufer.

Der Volkswagen-Konzern sprach auf der Automesse IAA in München am Montag von einer "Demokratisierung" der Elektromobilität. In zwei Jahren sollen Modelle von VW, Skoda und Cupra für weniger als 25.000 Euro auf den Markt kommen. "Wir haben riesige Chancen", sagte VW-Chef Oliver Blume, wir werden auf der Kostenseite hart arbeiten müssen." Renault-Chef Luca de Meo sagte der Nachrichtenagentur Reuters, E-Autos müssten erschwinglicher werden und die Kostenlücke zu günstiger produzierenden Autobauern wie denen aus China geschlossen werden.

Die wachsende Teilnahme von Ausstellern aus China auf der führenden Automesse Europas ist nach Einschätzung von Experten ein weiterer Weckruf für die traditionellen Autobauer, beim Abschied vom Verbrennungsmotor Gas zu geben. Schon die große Zahl neuer chinesischer E-Automarken auf der Messe in Shanghai im Frühjahr war für westliche Automanager ein Schock. In München kommen nun 40 Prozent der Aussteller aus China und damit doppelt so viele wie bei der letzten IAA Mobility. Führende chinesische Autobauer wie BYD oder Xpeng zeigen ihre Modelle auf der von Dienstag bis Sonntag für das Publikum geöffneten Messe. Xpeng kündigte an, 2024 in Deutschland anzutreten. Und noch ein harter Konkurrent der Deutschen mischt als Messeteilnehmer das Revier der Deutschen auf: Tesla zeigt die Neuauflage seines Bestsellers Model 3. Die deutsche Autoindustrie sei lange sehr stark gewesen, treffe mittlerweile aber auf fortschrittliche Konkurrenten weltweit, sagte Fabian Brandt von der Unternehmensberatung Oliver Wyman.

PREMIUM-EINSTIEGSMODELLE IN DER PIPELINE

Mit einem Anteil von 15 Prozent am Absatz sei der Markt für E-Autos in Europa noch einer für wenige Käufer. "Jetzt ist es Zeit für Phase zwei: die Masseneinführung von E-Autos bei der breiten Kundschaft", sagte Fabrice Cambolive, Chef der Marke Renault. Die nächste Generation E-Autos der Franzosen soll mit dem R5 Insidern zufolge im Sommer 2024 kommen, zu 25 bis 30 Prozent niedrigeren Produktionskosten als der Vorgänger. Der Umstieg auf Elektrofahrzeuge in Deutschland hat sich zuletzt verlangsamt, da es bisher kaum batterieelektrische Autos gibt, die sich breite Käuferschichten leisten können.

Die Autobauer wollen günstigere Angebote über sinkende Batteriekosten und hohe Stückzahlen auf Basis einheitlicher technischer Plattformen ermöglichen. Ein Hebel dazu sei die Einheits-Batteriezelle der VW-Tochter PowerCo und Innovationen wie eine kostengünstige Zellchemie ohne Kobalt und Nickel, erklärte VW. "Damit wird E-Mobilität für breitere Bevölkerungsschichten erschwinglich und noch nachhaltiger."

Auch die deutschen Premiumhersteller BMW und Mercedes-Benz gaben bei der Autoschau einen Vorgeschmack auf E-Autos für ihre Einstiegssegmente. Mit der "Neuen Klasse" stellen die Münchner erstmals eine eigene Plattform für Elektroautos vor. Die Fahrzeuge kommen ab 2025 im Segment des Bestsellers Dreier und greifen damit Marktführer Tesla an. Dabei will BMW genauso profitabel sein wie derzeit mit einem Gros an Verbrennermodellen, wie BMW-Chef Oliver Zipse am Wochenende betonte.

Mercedes stellt auf der Messe ein Konzept des neuen CLA vor, der für Anfang 2025 geplant ist. Das Fahrzeug wird das erste von künftig vier Kompaktmodellen auf der neuen elektrischen Antriebsplattform von Mercedes-Benz MMA. Mit Blick auf die zunehmende Konkurrenz aus China sagte Mercedes-Chef Ola Källenius, es sei wichtig, führend zu bleiben. "Wenn eine Industrie sich so fundamental in einer Transformation befindet, glaube ich, ist es nicht ungewöhnlich, dass auch neue Player reinkommen", erklärte er am Sonntag. Bislang handle es sich vor allem um Fahrzeuge im Einstiegssegment. Es wäre naiv zu glauben, dass sie nicht auch versuchten, im Premiumsegment anzugreifen.

PROTEST VON KLIMASCHÜTZERN

Wie schon bei der IAA Mobility vor zwei Jahren werden in München wieder Proteste und Blockaden von Klimaaktivisten erwartet, die sich in einem Protestcamp versammelt haben. Greenpeace-Aktivisten versenkten Autos in einer Wasserfläche vor dem Messegelände. Die Organisation kritisierte, die deutsche Autoindustrie gehe besonders verschwenderisch mit Energie und Rohstoffen um und beschleunige damit die Klimakrise. Die Umweltorganisation fordert eine Abkehr vom Auto, die durch einen Ausbau des öffentlichen Nahverkehrs möglich sein soll. Nach Ansicht der Deutschen Umwelthilfe (DUH) ist die IAA trotz der Elektroautos "das größte Greenwashing-Event der Automobilbranche". Die DUH forderte einen radikalen Kurswechsel in der Verkehrspolitik für mehr Klimaschutz mit einem Tempolimit von 100 Stundenkilometern auf der Autobahn und einem Abbau klimaschädlicher Subventionen.

(Weiterer Reporter: Gilles Guillaume, geschrieben von Ilona Wissenbach, redigiert von Hans Seidenstücker. Bei Rückfragen wenden Sie sich bitte an die Redaktionsleitung unter frankfurt.newsroom@thomsonreuters.com)