- von John Revill
Zürich (Reuters) - Nicht nur stabile Preise: Die Schweizer Industrie drängt die heimische Notenbank dazu, über die Bekämpfung der Inflation hinaus der Wirtschaft stärker unter die Arme zu greifen. Unternehmen sollen Hilfestellung erhalten, mit dem starken Schweizer Franken umzugehen.
Denn der hohe Kurs der Landeswährung gegenüber anderen Devisen drückt auf die Gewinne der Firmen, die ohnehin bereits mit einer Abkühlung der Weltwirtschaft und sinkender Nachfrage wichtiger Handelspartner wie China und Deutschland zu kämpfen haben. Der Franken wertete 2023 erheblich gegenüber dem Dollar und dem Euro auf. Zwar dämpft das den Preisdruck durch Importe. Aber Produkte der Schweizer Exportunternehmen sind dadurch auf dem Weltmarkt mit ihren Preisen weniger wettbewerbsfähig.
Die Rufe nach Unterstützung kommen zu einer Zeit, in der sich die Schweizerische Nationalbank (SNB) auf ihre Zinssitzung am Donnerstag vorbereitet. Ihr primäres Stabilitätsziel, die Inflation in einen Bereich von null bis zwei Prozent zu drücken, hat sie lange erreicht. Die Verbraucherpreise stiegen im Februar nur noch um 1,2 Prozent nach 1,3 Prozent im Januar.
"Sobald dieses gesetzliche Mandat erfüllt ist, hat die SNB auch das Mandat, die wirtschaftliche Situation zu berücksichtigen", sagt der Direktor des Verbands der Maschinen-, Elektro- und Metallindustrie (Swissmem), Stefan Brupbacher. Dazu gehöre natürlich auch die Abmilderung der Auswirkungen von Währungsschocks auf die Industrie. Der Verband vertritt in der Schweiz unter anderem die Großkonzerne ABB und Siemens sowie den Aufzughersteller Schindler. "Wir werden der SNB nie sagen, was sie tun soll", merkte er an. "Dennoch erwarten wir, dass die SNB - im Rahmen ihres Mandats - die Situation der Exportindustrie berücksichtigt."
Aus Sicht von Martin Hirzel, Swissmem-Präsident und Vorstandsmitglied beim Schweizer Landmaschinenhersteller Bucher, geschah die Aufwertung des Franken gegen Ende des vergangenen Jahres zum "schlechtmöglichsten Zeitpunkt." Unternehmen kämpften darum, nach einem schwachen Jahr 2023 neue Aufträge zu gewinnen. "Und in diesem Moment haben wir diese Aufwertung von fünf bis sieben Prozent gegenüber dem Euro, die Schweizer Produkte teurer macht, oder die Unternehmen sehen ihre Margen verschwinden." Die Auslandsaufträge sind im vergangenen Jahr nach Verbandsangaben um 9,1 Prozent gesunken.
Einer Umfrage des Arbeitgeberverbandes Swissmechanic zufolge, der mehr als 1.300 kleinere Unternehmen aus der Maschinen-, Elektro- und Metallbranche vertritt, ist die Franken-Stärke eine große Sorge. Das Vertrauen in dem Sektor sei auf dem niedrigsten Stand seit der Corona-Pandemie. "Es ist ein großes Problem für uns, wenn der Euro oder der Dollar sehr schnell gegenüber dem Franken fällt", sagt Swissmechanic-Präsident Nicola Tettamanti. Tettamanti ist Chef des Herstellers von Präzisionskomponenten für Werkzeugmaschinen Tecnopinz. Das Unternehmen aus der Nähe von Lugano im Süden der Schweiz spürt bereits die Folgen. "Wir haben wahrscheinlich Aufträge verloren, die wir gewonnen hätten, wenn der Euro stärker gewesen wäre", sagte er Reuters.
LEIDEN DER EXPORTWIRTSCHAFT
Fast drei Viertel der in der Schweiz hergestellten Produkte werden ins Ausland verkauft. Unternehmen kämpfen derzeit darum, höhere Preise durchzusetzen. Denn die Nachfrage ist momentan mau. Aber wenn Preise in einem derartigen Umfeld konstant bleiben, leiden die Gewinne, was wiederum die Fähigkeit der Unternehmen zu investieren einschränkt. In einem Hochkostenland wie die Schweiz ist das ein entscheidender Punkt. Die verarbeitende Industrie ist eine Säule der exportorientierten Schweizer Wirtschaft. Sie trägt etwa 22 Prozent zum Bruttoinlandsprodukt (BIP) bei.
Obwohl der Kurs des Franken im Verhältnis zum Euro inzwischen in diesem Jahr etwas zurückgegangen ist, liegt er im Vergleich zum vergangenen März noch fast drei Prozent höher. Rund sechs Prozent sind es im Verhältnis zum Dollar. Jetzt, da die Inflation unter Kontrolle sei, müsse die SNB überlegen, was sie "zur Unterstützung der Exporteure" unternehmen könne, sagt Tettamanti. Sein Vorschlag: Die SNB solle sich darauf konzentrieren, ihre Währungsreserven zu verwalten, um eine übermäßige Aufwertung des Franken zu verhindern und wenn erforderlich Euro kaufen. Die Notenbank, die regelmäßig Umfragen unter Schweizer Unternehmen auflegt, lehnte eine Stellungnahme zu ihren geldpolitischen Intentionen ab.
Manche Volkswirte sind der Ansicht, für die SNB sei allmählich die Zeit gekommen, ihre geldpolitische Strategie zu ändern, da die Inflation gezähmt sei. "Die Schweizer Wirtschaft steht vor dem doppelten Problem einer schwächeren Nachfrage im Ausland sowie eines starken Franken, daher wäre eine Zinssenkung eine gute Hilfe", sagt etwa Karsten Junius, Chefökonom der Privatbank J.Safra Sarasin. Er erwartet eine Zinssenkung um 0,25 Prozentpunkte. Andere Volkswirte sind anderer Meinung - zumindest vorerst. "Die SNB wird sich laserfokussiert auf die Inflation konzentrieren", sagt etwa Gero Jung, Chefökonom bei der Privatbank Mirabaud. "Sie wird beobachten, was in der Industrie passiert. Aber die Inflation ist das Wichtigste."
(Bericht von John Revill; Bearbeitet von Frank Siebelt; Redigiert von Christian Götz. Bei Rückfragen wenden Sie sich bitte an unsere Redaktion unter berlin.newsroom@thomsonreuters.com (für Politik und Konjunktur) oder frankfurt.newsroom@thomsonreuters.com (für Unternehmen und Märkte).)