BERLIN (dpa-AFX) - Die Tarifrunden des neuen Jahres stehen nach Ansicht von Verdi-Chef Frank Werneke weiter unter dem Eindruck der großen Preissteigerungen in Deutschland. "Die hohe Inflation wird uns weiter beschäftigen", sagte Werneke der Deutschen Presse-Agentur in Berlin. "Alle Menschen müssen den Kühlschrank voll bekommen, alle haben Anspruch auf eine geheizte Wohnung."
Vor dem Überfall Russlands auf die Ukraine habe niemand vorhergesehen, dass es ein verfestigtes Inflationsniveau von acht, neun oder sogar mehr Prozent geben werde. "Bereits im Lauf des Jahres hat Verdi zum Teil sehr hohe Tarifabschlüsse durchgesetzt, etwa für die Hafenarbeiter mit insgesamt zweistelligen Lohnzuwächsen." Werneke verwies zudem auf den Abschluss für die Lufthansa
"Menschen mit niedrigeren Einkommen sind im Verhältnis zu ihrer Einkommenshöhe überproportional von den stark gestiegenen Preisen betroffen", stellte Werneke fest. "Als Verdi versuchen wir ganz explizit, für diese Beschäftigtengruppe überdurchschnittliche Einkommenssteigerungen durchzusetzen. Deshalb fordern wir zum Beispiel tabellenwirksame Mindestbeträge, wie etwa beim öffentlichen Dienst von Bund und Kommunen mit einer Mindestanhebung um 500 Euro."
Am 24. Januar beginnen Verdi und der Beamtenbund dbb Tarifverhandlungen für rund 2,5 Millionen Beschäftigte von Bund und Kommunen. Die Gewerkschaften fordern außer den Mindestbetrag 10,5 Prozent mehr Einkommen.
Werneke erwartet, dass das Thema krisenbedingter Sonderzahlungen weiter oben auf der Tagesordnung bleibt - zeigte sich dazu aber skeptisch. "In allen Tarifverhandlungen, die wir derzeit führen, stellt die Arbeitgeberseite die Prämie zum Inflationsausgleich ins Schaufenster und beleuchtet sie mit bunten Lampen", sagte er. "Es wäre jetzt keine große Überraschung, wenn die öffentlichen Arbeitgeber genauso agieren."
Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) hatte solche Sonderzahlungen im Rahmen seiner Gespräche mit Arbeitgebern und Gewerkschaften gegen die Inflation ("konzertierte Aktion") angeboten. Der Staat verzichtet demnach bei Zusatzzahlungen bis zu 3000 Euro von Arbeitgebern an ihre Beschäftigten auf Steuern und Abgaben.
Werneke sagte dazu: "Wir haben es jedoch mit dauerhaft steigenden Preisen zu tun." Es werde keinen Rückgang der Preise auf das Niveau vor Februar 2022 geben. "Unsere Mitglieder wünschen sich nachhaltige, dauerhafte, tabellenwirksame Entgeltsteigerungen und bezahlen darauf dann auch gerne Steuern und Sozialabgaben." Dass die Arbeitgeber mit anderen Vorstellungen unterwegs seien, sei wahrscheinlich. "Und dann werden wir sehen, ob wir miteinander zu einem Ergebnis kommen."
Zu den Verhandlungen bei der Post, die am 6. Januar beginnen sollen, sagte Werneke: "Bei der Deutschen Post AG agieren wir nicht mit einem Mindestbetrag, weil dort die Unterschiede zwischen den Eingruppierungen nur vergleichsweise gering ausfallen: Egal ob im Zustelldienst oder im Post-Verteilzentrum - die Eingruppierungen liegen nah beieinander."
Deswegen fordere Verdi bei der Post insgesamt ein Lohnplus von 15 Prozent. "Hier arbeiten Kolleginnen und Kollegen mit geringen Einkommen bei gleichzeitig einer harten Tätigkeit, die überwiegend in Großstädten und Ballungsräumen mit ihren hohen Preisniveaus leben." Dem Unternehmen gehe es finanziell so gut, dass die Aktionäre reich belohnt würden. "Dort ist auch genug Geld für die Beschäftigten."/bw/DP/zb