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WAHL 2025: Warum der Klimawandel im Wahlkampf keine größere Rolle spielt

20.02.2025
um 09:35 Uhr

BERLIN (dpa-AFX) - Die Grünen würden gern mehr darüber reden, Friedrich Merz staunt, dass das nicht mehr passiert: Der Klimawandel und seine Bekämpfung spielen im Bundestagswahlkampf kaum eine Rolle. Und das trotz immer neuer Meldungen über Temperaturrekorde und Katastrophen.

Andere Themen beschäftigen die Menschen mehr

Das vergangene Jahr war nach vorläufigen Schätzungen des Klimawandeldiensts des EU-Programms Copernicus das wärmste jemals gemessene. Das Eis in der Arktis schmilzt weiter, die Gefahr von Waldbränden, schweren Stürmen oder heftigen Regenfällen wächst - von Folgen wie Ernteausfällen und Verlust an Leben und Wohlstand gar nicht zu sprechen.

Dennoch steht der Klimawandel für die Menschen in Deutschland derzeit in der Liste wichtiger Anliegen ziemlich weit unten. Unter den Befragten des ZDF-Politbarometers rangierte das Thema jüngst auf Platz sechs - hinter Frieden und Sicherheit, Wirtschaft, sozialer Gerechtigkeit, Flüchtlingen und Asyl sowie Renten und Alterssicherung. Nach einer aktuellen Allensbach-Umfrage im Auftrag der BMW Foundation Herbert Quandt und des Fraunhofer Instituts machen sich derzeit 36 Prozent große Sorgen um den Klimawandel - während es 2019 noch 51 Prozent waren.

Ohnmachtsgefühle, Verdrängung und Enttäuschung

Warum also treibt das Thema Wählerinnen und Wähler so wenig um? Die Antwort hat mehrere Ebenen. Da sind einmal Themen, die zumindest kurz- und mittelfristig drängender scheinen - siehe oben. Und da ist, paradoxerweise, die Größe des Problems Erderhitzung. Der Soziologe Klaus Hurrelmann von der Berliner Hertie School spricht von einer existenzbedrohenden Entwicklung. "Darauf reagieren die Menschen mit Ohnmachtsgefühlen, sie verdrängen das. Es ist entlastend zu sagen: Ich kann da ohnehin nichts machen."

Die besonders Engagierten, die 2019 mit Fridays for Future auf die Straße gingen und dem Thema Schub verliehen, wurden von der Ampel-Koalition und Wirtschafts- und Klimaschutzminister Robert Habeck nach Einschätzung Hurrelmanns vor den Kopf gestoßen. "Die sind stumm geworden und erschrocken über die Schwierigkeiten in der politischen Umsetzung." Gerade von den Grünen hätten sich Sympathisanten mehr versprochen.

Die handwerklichen und kommunikativen Fehler beim Heizungsgesetz, das als kleinteilige Regulierung empfunden wurde, hätten viel kaputt gemacht, sagt er. Politische Versprechungen wie das Klimageld als Ausgleich für Kosten des Klimaschutzes seien hingegen nicht erfüllt worden.

Soziologe: Bevölkerung mehr einbeziehen

Statt auf Verbote und Vorschriften solle die Politik mehr auf finanzielle Förderung und den Ausbau öffentlicher Infrastruktur setzen, meint Hurrelmann. "Und die Bevölkerung muss stärker beteiligt werden: Mit Bürgerräten oder Dialogveranstaltungen, wie es sie ja jetzt auch im Wahlkampf gibt."

Leon Wansleben, Soziologe am Max-Planck-Institut für Gesellschaftsforschung in Köln, bemängelt die soziale Schieflage bei der aktuellen Klimaschutzpolitik, auf die jüngst auch der Expertenrat der Bundesregierung hingewiesen hat. "Ein Problem der bisherigen Klimapolitik ist, dass von Förderung vor allem Besserverdienende profitieren. Statt auf individuelle Förderung sollte der Staat hier auf den Ausbau der nötigen Infrastruktur setzen, zum Beispiel von Wärmenetzen oder Ladestationen für Elektroautos", sagt er. Der Ausbau von Infrastruktur sei auch wenig kontrovers.

Mangelnde Präsenz im Wahlkampf kann auch Vorteile haben

Die mangelnde Präsenz im Wahlkampf heißt allerdings nicht, dass das Thema politisch keine Rolle mehr spielt, gibt Wansleben zu bedenken. Klimaschutz werde vor allem dann bedeutsam, wenn es um konkrete Problemstellungen gehe: in der Energiepolitik oder beim klimafreundlichen Umbau von Industrie und Wärmeversorgung. "Es ist nicht unbedingt ein Nachteil, wenn diese hochkomplexen Themen im Wahlkampf weniger präsent sind. Dann werden auch weniger ideologische rote Linien gezogen."

Die Ampel-Koalition hat Fortschritte gemacht beim Ausbau erneuerbarer Energien. "Die nächste zentrale Frage sind die Stromkosten, die sinken müssen, um die Elektrifizierung voranzutreiben", sagt Wansleben. Möglichst klimafreundlich erzeugter Strom soll fossile Energien immer weiter verdrängen. "Da sind Fortschritte möglich, das taucht in den Wahlprogrammen der Parteien auf, die Aussicht haben auf eine Regierungsbeteiligung." Das Land sei mittendrin in der Energiewende, was die relevanten Parteien auch nicht infrage stellten.

Auch Hurrelmann ist fest überzeugt, dass der Klimaschutz auch für die nächste Regierung eine wichtige Rolle spielen wird. Aus einem einfachen Grund: "Unsere Gesellschaft kann gar nicht überleben, wenn sie das Thema nicht systematisch angeht."/hrz/DP/zb