Ökonomen-Stimmen zum historischen Finanzpaket für Verteidigung und Infrastruktur
FRANKFURT (dpa-AFX) - Union und SPD haben einen ersten Durchbruch in ihren Sondierungsgesprächen erzielt und ein Finanzpaket von historischem Ausmaß für Verteidigung und Infrastruktur geschnürt. Zum einen soll die im Grundgesetz verankerte Schuldenbremse für Verteidigungsausgaben gelockert werden, wie die Unterhändler nach ihrer dritten Sondierungsrunde am Dienstagabend in Berlin verkündeten. Außerdem soll ein Sondervermögen für die Instandsetzung der Infrastruktur mit 500 Milliarden Euro geschaffen werden, was die Verschuldung der Bundesrepublik deutlich erhöhen wird.
Einschätzungen von Ökonomen zum Finanzpaket und der darauf folgenden Verschuldung im Überblick:
Jörg Krämer, Chefvolkswirt der Commerzbank
"Die Beschlüsse laufen darauf hinaus, dass der Schuldenstand relativ zum Bruttoinlandsprodukt in den kommenden Jahren kräftig steigen wird - allein wegen des neuen Sondervermögens um etwa zehn Prozentpunkte. Sollten die Ausgaben für Verteidigung auf 3,5 Prozent des Bruttoinlandsprodukts steigen, würde der Schuldenstand in jedem Jahr um zusätzliche 2,5 Prozentpunkte zulegen. In zehn Jahren könnte die gesamtstaatliche Schuldenquote auf 90 Prozent gestiegen sein, wobei das auch von der Inflation abhängt und insofern nicht einfach zu prognostizieren ist."
Sven Jari Stehn, Chefvolkswirt Europa bei Goldman Sachs
"Eine zügige Umsetzung des Haushaltspakets dürfte das BIP-Wachstum bis 2027 um bis zu ein Prozentpunkt pro Jahr erhöhen, aber auch die Schuldenquote auf 67,6 Prozent ansteigen lassen. Bei einer schrittweisen Umsetzung würden die Wachstumsimpulse dagegen geringer ausfallen und die Schuldenquote bis 2027 auf 65,0 Prozent ansteigen - ein weniger drastischer, aber dennoch spürbarer Anstieg."
Thomas Gitzel, Chefvolkswirt der VP Bank
"In Anbetracht der geopolitischen Entwicklungen bedürfen Verteidigung und Infrastruktur einer langfristigen Herangehensweise - weit über die neue Legislaturperiode hinaus. Wenn die Rüstungsindustrie und auch die am Infrastrukturbau beteiligten Unternehmen Planungssicherheit haben, wird in Produktionskapazitäten investiert. Dies könnte der Schlüssel für mehr binnenwirtschaftliche Dynamik in den kommenden Jahren sein und würde dann auch höhere Steuereinnahmen generieren."
Friedrich Heinemann, Leiter des Forschungsbereichs Unternehmensbesteuerung und Öffentliche Finanzwirtschaft am ZEW Mannheim
"Nimmt man das geplante Infrastruktur-Sondervermögen und die angedachten neuen Verschuldungsmöglichkeiten der Länder hinzu, wie sie in der Absprache enthalten sind, öffnet sich ein gewaltiges Verschuldungsfenster. In der Summe könnte die Bundesrepublik damit auf Dauer in einer konjunkturellen Normallage verfassungskonform vier Prozent des BIP schuldenfinanzieren. Damit würde sich Deutschland rasch zu den Hochschuldenstaaten der EU gesellen, schon 2034 wird die Schulden-BIP-Quote dann 100 Prozent erreichen."
Jens Eisenschmidt, Analyst bei Morgan Stanley
"Das Gesamtpaket dürfte mehr als 1 Billion Euro umfassen. Wir gehen davon aus, dass der Vorschlag nächste Woche im Bundestag zur Abstimmung kommt, und sehen Aufwärtsrisiken für unsere Wachstumsprognose von 0,20 Prozentpunkten im Jahr 2025 und 0,70 Prozentpunkten im Jahr 2026."
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