NRW-Medienminister: Mehrwertsteuer für Zeitungen sofort senken
DÜSSELDORF (dpa-AFX) - Seit 2017 leitet Nathanael Liminski die nordrhein-westfälische Staatskanzlei, als Medienminister kämpft er für eine Senkung der Mehrwertsteuer auf Presseerzeugnisse. Warum der CDU-Politiker daran festhält, obwohl der Schritt nicht in den Koalitionsvertrag aufgenommen wurde und warum er nichts von einem pauschalen Verbot für Jugendliche in den sozialen Netzwerken hält, erklärt er im Interview mit der Deutschen Presse-Agentur.
Frage: Gibt es eine medienpolitische Maßnahme, die Sie sofort umsetzen würden, wenn Sie könnten?
Antwort: Ich würde sofort die Mehrwertsteuer auf periodische Presseerzeugnisse senken, am besten auf null. Wir haben das aus der Arbeitsgruppe heraus für den Koalitionsvertrag vorgeschlagen. Mehrwertsteuer auf Presseerzeugnisse von derzeit sieben auf null Prozent - das wäre eine schnelle Maßnahme, die der Medienvielfalt dient und ordnungspolitisch sauber ist.
Frage: Kann die Senkung der Mehrwertsteuer von derzeit 7 Prozent auf null wirklich die Entlastung bringen, die die Medien in diesen Zeiten brauchen?
Antwort: Nein, das allein sicher nicht. Unsere im internationalen Vergleich sehr vielfältige Medienlandschaft steht unter immer größerem Druck. Wir dürfen uns als Medienpolitik, Sender und Verlage in Deutschland nicht um Sandförmchen streiten, während die Big-Tech-Plattformen mit dem Bagger den ganzen Sandkasten abtragen. Deshalb ist es nötig, die großen Fragen der Regulierung auf EU-Ebene
- Urheberrecht, Medienkonzentrationsrecht, KI, Plattformen - mit
Nachdruck anzugehen. Gleichzeitig müssen wir in Deutschland für Freiheit und Fairness sorgen - zwischen Privaten und Öffentlich-Rechtlichen sowie auch zwischen Radio, Print und Fernsehen.
Frage: Glauben Sie, die Senkung wird tatsächlich noch kommen? In den Koalitionsvertrag der Bundesregierung hat sie es ja nicht geschafft.
Antwort: Für mich ist das nicht vom Tisch. Ich kämpfe weiter, weil ich das für dringend notwendig halte. Das Zeitungssterben ist nicht bloß Prognose, sondern findet tagtäglich statt, mit allen Folgen für die Demokratie vor Ort. Und dem will ich nicht tatenlos zusehen. Wenn wir Milliarden für neue politische Projekte ausgeben, sollte es uns die Medienvielfalt und Meinungsbildung wert sein, einige Hundert Millionen Euro jährlich für die Mehrwertsteuer-Senkung aufzubringen.
Frage: Finden Sie in der Bundesregierung Mitstreiter, die Ihr Anliegen ähnlich vehement unterstützen und es nicht in dieser Legislatur in Vergessenheit geraten lassen wollen?
Antwort: Bisher nicht, aber die Bundesregierung ist ja auch erst seit 100 Tagen im Amt.
Frage: Auf EU-Ebene gibt es den Digital Services Act (DSA), ein Gesetz, das Plattformen zu mehr Verantwortung im Netz verpflichtet. Der DSA ist seit etwa einem Jahr in Kraft und gilt als scharfes Schwert der EU-Kommission. Wie bewerten Sie bislang seine Durchsetzung?
Antwort: Wir können die Wirksamkeit noch nicht abschließend beurteilen. Es laufen derzeit etwa zehn Verfahren gegen große Plattformen. Die Kommission muss sie bald zum Abschluss bringen. Der DSA muss zeigen, dass er Zähne hat und etwas bewirkt, sonst wird es schwer, politisch weiter dafür zu kämpfen. Wie notwendig das ist, zeigt die Tatsache, dass der Druck aus den USA nicht nachlässt, die Regulierung in diesem Bereich einzustellen oder zumindest zurückzufahren.
Frage: Was für Signale bekommen Sie da aus der EU-Kommission? Wie weit ist man bereit zu gehen?
Antwort: Es wird mir aus der Kommission versichert, dass sich die Plattformen kooperativ verhielten. Wie weit diese Kooperationsbereitschaft tatsächlich geht, wird sich zeigen, wenn regulatorische Entscheidungen in die Tat umgesetzt werden sollen. Die europäische Medienregulierung darf nicht zur Verhandlungsmasse in Zollfragen mit den USA werden. Hier geht es um Kernfragen der Demokratie, Grundregeln der öffentlichen Meinungsbildung - das sind keine Themen, die man einfach nach Verhandlungslogik verschiebt, je nach wirtschaftlichem Druck. Dass Freiheit mit Verantwortung einhergeht und ihre Grenze in der Freiheit des Nächsten findet - diese Rechtstraditionen gehören zum Kern europäischer Identität und dürfen nicht auf dem Altar der Zollverhandlungen geopfert werden.
Frage: Sie sagen so oft, es darf nicht zur Verhandlungsmasse werden, dass ich fast vermute, dass es schon Verhandlungsmasse ist.
Antwort: Bei dem jüngsten Handelsdeal in Schottland zwischen der EU und den USA gab es offenkundig kein gemeinsames Verständnis darüber, ob diese Themen noch auf dem Verhandlungstisch sind oder nicht. Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen hat für sich festgestellt, dass das nicht so ist. Die Amerikaner hingegen gehen offenbar felsenfest davon aus, dass man darüber noch sprechen werde. Das zeigt mir, dass es hier offenkundig an Klarheit mangelt.
Frage: Welche weiteren europäischen Instrumente gibt es, um digitale Souveränität zu stärken?
Antwort: Unser größtes Pfund ist unser Markt: 450 Millionen Nutzerinnen und Nutzer. Mit dieser Marktmacht müssen wir selbstbewusst auftreten, auch im Handel. Gleichzeitig müssen wir Souveränität aufbauen - in Rüstung, Energie, Digitalisierung. Wir müssen aufholen. Resilienz schafft Unabhängigkeit und sichert Freiheit.
Frage: Wer vertritt eigentlich solche Positionen außer Ihnen in der deutschen Öffentlichkeit?
Antwort: Glücklicherweise kommt es nicht auf einen alleine an. Wolfram Weimer etwa hat die im Koalitionsvertrag verankerte Digitalabgabe sehr früh in der Legislaturperiode öffentlich zum Thema gemacht und will hier auch konkret werden.
Frage: Also Sie unterstützen die Digitalabgabe?
Antwort: Ich unterstütze die Digitalabgabe und habe sie deshalb auch mit in den Koalitionsvertrag hineinverhandelt. Wenn Plattformen über Jahre und Jahrzehnte mit den kreativen Ergebnissen unserer Medienlandschaft Geld verdienen, dann sollten wir sie auch in geeigneter Weise an deren nachhaltiger Finanzierung beteiligen.
Frage: Haben Sie da irgendeine Ertragsfantasie, wo Sie sagen, das müsste bei einer digitalen Abgabe ja herauskommen?
Antwort: Die Digitalabgabe ist kein Selbstzweck. Es geht auch nicht um Bestrafung, sondern um Beteiligung. Es ist Sache von Gutachten festzustellen, wie weit man bei einer solchen Abgabe gehen sollte, ohne das Ziel zu konterkarieren. Der Betrag, der bei einer Digitalabgabe erzielt wird, muss sich an den Gewinnen orientieren und so substanziell sein, dass es der Medienlandschaft tatsächlich hilft.
Frage: Was ist denn in Liminski-Deutsch substanziell? Ist das eine dreistellige Millionensumme?
Antwort: Angesichts der Größe und Vitalität des deutschen Marktes reden wir hier meines Erachtens eher über Milliarden als über Millionen.
Frage: Thüringens Ministerpräsident Mario Voigt fordert eine Altersgrenze für Social Media ab 16 Jahren. In Australien wurde ein ähnliches Verbot für bereits erlassen. Wie stehen Sie zu solchen Maßnahmen?
Antwort: Ich kann gut nachvollziehen, dass vor allem Eltern mit Sorge auf die intensive Nutzung von Handys und Social Media durch ihre Kinder blicken. Es ist daher absolut notwendig, dass wir breit darüber diskutieren, welches Maß an Handynutzung noch verträglich ist und wie digitale Medien reguliert werden sollen und können.
Nach sieben Jahren als Chef der Staatskanzlei und als Vater von vier Kindern sage ich aber auch ganz klar: Wir brauchen nicht nur Meinungen, sondern Lösungen. Es ist aus meiner Sicht völlig weltfremd zu glauben, dass mit einem Social Media-Pauschalverbot für Jugendliche unter 16 alle Probleme gelöst seien. Solche Forderungen müssen immer daran gemessen werden, ob sie erstens rechtlich durchsetzbar, zweitens technisch umsetzbar und drittens politisch vermittelbar sind - und bei einem Pauschalverbot habe ich bei allen drei Punkten handfeste Zweifel.
Frage: Wollen wir das mal durchdeklinieren? Also das Rechtliche, zum Beispiel?
Antwort: Social Media ist für viele junge Menschen ein fester Bestandteil ihres Lebens - fast so wie Schlafen, Trinken oder Essen. Während die Debatte vor allem die Risiken von Gewaltverherrlichung, Radikalisierung oder Pornografie im Blick hat, geht es den jungen Menschen in allererster Linie um Unterhaltung, aber auch um Information darüber, was in der Welt so los ist. Jungen Menschen das zu verwehren, wäre ein tiefer Eingriff in die Privatsphäre und in das Recht auf informationelle Selbstbestimmung.
Hinzu kommt die Entscheidung: Was ist verboten und was nicht? Wer entscheidet das wann und wie anhand welcher Kriterien? Die rechtliche Durchsetzbarkeit eines Pauschalverbots ist also eine echte Hürde. Und technisch ist es auch nicht trivial: Das vielzitierte Verbot in Australien wird Erhebungen zufolge von einer Vielzahl der Jugendlichen spielend einfach umgangen. Selbst wenn ein Verbot rechtlich und technisch möglich wäre - was noch nicht erwiesen ist - bliebe die politische Vermittelbarkeit ein erhebliches Problem. Damit würden wir einen Generationenkonflikt Alt gegen Jung beziehungsweise analog versus digitalaffin herbeiführen. Das muss verantwortliche Politik mitdenken und vor einem Verbot an machbaren und verhältnismäßigen Wegen arbeiten, wie wir unsere Kinder vor den Gefahren der digitalen Welt schützen.
Frage: Brauchen wir aber nicht auch eine Art rechtssicheren Türsteher, der den Jugendschutz konsequent in die digitale Welt überträgt? Im echten Leben gibt es Jugendschutz klar geregelt - unter 18 kommt man etwa nicht in den Club. Aber im Netz klicken Jugendliche einfach "Ich bin 18" und sind drin.
Antwort: Wir brauchen einen digitalen Türsteher, definitiv. Ich bin Befürworter eines wirklich wirksamen Jugendmedienschutzes. Ein riesiger Fortschritt wäre es schon, wenn die bereits bestehenden Altersbeschränkungen tatsächlich durchgesetzt würden. Die EU arbeitet dazu an europaweiten Lösungen. Die Länder haben ihre Hausaufgaben gemacht und mit dem Jugendmedienschutzstaatsvertrag, der gerade in den Landtagen beschlossen wird, eine Altersverifikation auf den Betriebssystemen der Mobilgeräte auf den Weg gebracht. Damit ließen sich erstmals die Altersbeschränkungen wirklich wirksam durchsetzen - einmal für alles. Ich kann Ihnen auch als Familienvater sagen, das würde sehr viel Frieden in die Familien in unserem Land bringen.
ZUR PERSON: Nathanael Liminski, geboren 1985 in Bonn, ist seit 2017 Leiter der Staatskanzlei Nordrhein-Westfalen und seit 2022 Minister für Bundes- und Europaangelegenheiten, Internationales sowie Medien des Landes. Der CDU-Politiker war zuvor Geschäftsführer der CDU-Landtagsfraktion NRW. Liminski ist verheiratet und Vater von vier Kindern./gö/DP/zb