ROUNDUP 2/Koalition in Kiew: Spahn und Miersch besuchen Ukraine
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KIEW (dpa-AFX) - Die Vorsitzenden der beiden Koalitionsfraktionen, Jens Spahn (CDU/CSU) und Matthias Miersch (SPD), haben der Ukraine bei einem überraschenden gemeinsamen Besuch in Kiew weitere Unterstützung im Abwehrkampf gegen Russland zugesichert. "Die Regierungsfraktionen Union und SPD stehen jetzt und in Zukunft an der Seite der Ukraine, der tapferen Ukrainerinnen und Ukrainer, die ihre Heimat, die ihr Land und auch Europa verteidigen", sagte Spahn nach der Ankunft in der ukrainischen Hauptstadt.
Auch Miersch betonte, wie wichtig ihm der gemeinsame Besuch sei. Es sei ein "Zeichen der Unterstützung und der Solidarität in diesen schwierigen Zeiten". Beide sprachen sich dafür aus, den Druck auf den russischen Präsidenten Wladimir Putin weiter zu erhöhen, um ihn an den Verhandlungstisch zu drängen. Sie zeigten sich dafür offen, das in der EU eingefrorene russische Vermögen für die Unterstützung der Ukraine zu nutzen.
Erster Ukraine-Besuch in diesem Format
Der Besuch ist ein Novum: Zwar waren auch zu Zeiten der Ampel-Regierung Mitglieder unterschiedlicher Koalitionsparteien gemeinsam in Kiew, aber nicht auf Ebene der Fraktionschefs. Sowohl für Spahn als auch für Miersch ist es der erste Ukraine-Besuch überhaupt.
Der Bundestag spielt eine entscheidende Rolle bei der Unterstützung des vor dreieinhalb Jahren von Russland angegriffenen Landes. Er bewilligt Haushaltsmittel für die Unterstützung der Ukraine und hätte das letzte Wort, wenn es nach einem Waffenstillstand um die Entsendung deutscher Soldaten gehen würde. Dazu hat die Bundesregierung sich noch nicht klar positioniert.
Miersch zu Bundeswehreinsatz: "Wir schließen nichts aus"
Spahn betonte auf der Zugfahrt nach Kiew, dass die beste Sicherheitsgarantie für die Ukraine eine gut ausgerüstete ukrainische Armee sei. "Das, was die ukrainische Armee leisten kann, kann keine andere Armee leisten." Deswegen müsse sie bestmöglich ausgestattet werden. Eine Debatte über alles, was darüber hinausgehe, sei verfrüht. Das unterstrich auch Miersch - er sagte zu einer möglichen Entsendung von Bundeswehrsoldaten aber auch: "Wir schließen nichts aus."
Ein anderes ehemaliges Streitthema in Sachen Ukraine haben Union und SPD inzwischen durch ein Schweigegelübde vom Tisch genommen. Über eine mögliche Lieferung der von der Ukraine bis nach Moskau reichenden Taurus-Marschflugkörper wird - wie auch über andere deutsche Waffensysteme für die Ukraine - nicht mehr öffentlich gesprochen. Begründung: Man wolle Russland darüber im Ungewissen lassen.
Besuch bei deutschen Soldaten auf dem Weg nach Kiew
Spahn und Miersch fuhren wie alle ausländischen Besucher wegen der Sperrung des Luftraums mit dem Zug von Polen nach Kiew. Auf dem Weg besuchten die beiden im polnischen Rzeszow Bundeswehrsoldaten, die dort mit zwei Patriot-Luftabwehrsystemen den Flughafen schützen, der als wichtigster Umschlagplatz für die Versorgung der Ukraine mit westlichen Waffen gilt. Nirgendwo sonst sind Bundeswehrsoldaten dem Krieg so nahe. Der Flugplatz ist etwa 60 Kilometer von der ukrainischen Grenze entfernt.
Nach der Ankunft in Kiew gedachten die beiden der gefallenen Soldaten. Weitere Programmpunkte wurden aus Sicherheitsgründen zunächst geheim gehalten.
Spahn: "Zeichen für die Entschlossenheit der Koalition"
Die gemeinsame Reise ist nicht nur ein Signal an die Ukraine, sondern auch an die eigenen Parteien und die deutsche Öffentlichkeit. Spahn und Miersch wollen zeigen, dass Union und SPD nach dem holprigen Start des Regierungsbündnisses an einem Strang ziehen. Die Reise sei "ein gutes Zeichen für die Ukraine, aber auch ein gutes Zeichen für die Entschlossenheit der Koalition", sagte Spahn.
Die Koalitionsspitzen schließen damit an die gemeinsame Klausurtagung der beiden Fraktionsvorstände Ende vergangener Woche an, bei der ein Neustart von Schwarz-Rot zelebriert wurde. Miersch hatte zum Ende der Tagung gesagt, zwischen ihm und Spahn sei "etwas gewachsen", und man könne "wirklich miteinander was Gutes hinkriegen".
In Würzburg hatten die Koalitionsspitzen die Bedeutung des Ukraine-Kriegs für die Sicherheit Europas herausgestellt. "Wir werden alles tun, damit sich die Ukraine gegen Russland verteidigen und aus einer Position der Stärke verhandeln kann", hieß es in einer Erklärung.
Spahn und Miersch offen für Nutzung des russischen Vermögens
Die Hoffnung auf ernsthafte Verhandlungen ist in den vergangenen zwei Wochen seit dem Treffen von US-Präsident Donald Trump und dem russischen Präsidenten Wladimir Putin aber wieder geschwunden. Der in Aussicht gestellte Gipfel zwischen Putin und dem ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj ist nicht zustande gekommen. Die Europäer wollen darauf mit neuen Sanktionen reagieren.
Spahn und Miersch zeigten sich offen dafür, dabei auch das eingefrorene russische Vermögen zu berücksichtigen. "Wenn jemand sein Nachbarland brutal überfällt, Grenzen wieder verschieben will, mordet, vergewaltigt, (...) dann muss das Konsequenzen haben", sagte Spahn. "Insofern braucht es eine Diskussion, ob und wie diese eingefrorenen Vermögenswerte auch genutzt werden können bei allen rechtlichen Bedenken." Miersch verwies auf die laufenden Gespräche zwischen den Europäern über weitere Sanktionen gegen Russland und sagte: "Insofern liegen alle Optionen auf dem Tisch."
Vermögen von mehr als 200 Milliarden Euro eingefroren
Nach früheren Kommissionsangaben sind rund 210 Milliarden Euro der russischen Zentralbank in der EU eingefroren, wobei der Großteil von dem in Brüssel ansässigen Finanzinstitut Euroclear verwahrt wird. Die russischen Zentralbank-Gelder durch einen Enteignungsbeschluss direkt zu nutzen, wird von vielen in der EU aber skeptisch gesehen. Als Grund gelten rechtliche Bedenken und wahrscheinliche Vergeltungsmaßnahmen. Zudem könnte eine direkte Nutzung der russischen Vermögenswerte auch dazu führen, dass andere Staaten und Anleger das Vertrauen in den europäischen Finanzplatz verlieren und Vermögen aus der EU abziehen./mfi/DP/mis