- von David Stanway und Ruby Lian
Peking (Reuters) - Eigentlich war der Ofen schon aus, doch bald werden die Schlote wieder rauchen: Im Norden Chinas werden die Hochöfen des 2015 eingemotteten Stahlwerks Shanxi Wenshui Haiwei wieder angefahren, wie ein Firmenmanager hinter vorgehaltener Hand sagt.
Damit werden wohl drei Millionen Tonnen Stahl im Jahr mehr auf den Markt kommen - kein Einzelfall im Reich der Mitte. Nach der Schließung vieler Hütten im vorigen Jahr ziehen die Preise wieder an und damit auch das zuvor in die Krise geschlitterte Geschäft mit Eisen und Stahl. Viele Hersteller suchen ihr Heil im Export - tatkräftig unterstützt von der Regierung in Peking. Dies lässt im Ausland die Alarmglocken schrillen. Vorige Woche gingen mehr als 40.000 Arbeiter in Deutschland gegen die Billigkonkurrenz auf die Straße.
Regierung und Notenbank in China lassen aber kaum Zweifel daran, dass sie nicht nachgeben werden. Sie wollen Stahlausfuhren mit Exportkrediten und Projektfinanzierungen weiter fördern. Dies dürfte in Europa Sorgen nähren, dass noch größere Mengen des Werkstoffs "Made in China" den Markt überschwemmen und hiesige Standorte in Gefahr geraten.
In Großbritannien hat der indische Stahlkonzern Tatabereits seinen Rückzug eingeleitet. 15.000 Arbeitsplätze stehen auf dem Spiel. Der größte Stahlhersteller in Großbritannien beklagt hohe Fertigungskosten, einen schwächelnden Markt und - wie die gesamte Branche in der EU - zunehmende Billigkonkurrenz aus China. Die Regierung in London will die Zukunft des britischen Tata-Steel-Werks notfalls mit Staatsgeld sichern. Erwogen wird eine Minderheitsbeteiligung von bis zu 25 Prozent.
Auch der deutsche Branchenprimus Thyssenkrupp steht womöglich vor einem Umbruch: Über ein Joint Venture der europäischen Stahlsparten von Thyssenkrupp und Tata sprechen nach Reuters-Informationen bereits beide Seiten.
Jüngst waren Vertreter von 30 Ländern bei einem OECD-Treffen mit einem neuen Anlauf zur Lösung der Krise gescheitert. Bei den Beratungen wurde vor allem die Kluft zwischen China, dem weltgrößten Stahlproduzenten, und den USA deutlich. Die Volksrepublik hat zwar nach eigenen Angaben 90 Millionen Tonnen an Kapazitäten stillgelegt und will bis 2020 weitere 100 bis 150 Millionen Tonnen folgen lassen. Doch die jüngsten Produktionszahlen sprechen eine andere Sprache: Mit einer Rohstahl-Menge von 70,65 Millionen Tonnen wurde im März ein Rekordwert erreicht. Auch die Konkurrenz in Japan ist in Sorge: Mit bangem Blick werden die Zahlen für April erwartet. Noch gibt es Hoffnung, dass die Produktionsausweitung im März nur die Folge anziehender Nachfrage nach dem Neujahrsfest in China gewesen sein könnte. Der südkoreanische Stahlgigant Posco, weltweite Nummer fünf der Branche, erwartet nicht, dass die Preise nachhaltig steigen. "Falls die Produktion weiter anziehen sollte, würde der von Überkapazitäten geprägte Markt letztlich zusammenbrechen", warnt Posco-Manager Son Chang Hwan.
ZUKUNFT FÜR ZOMBIE-WERKE?
Selbst Chinas Stahlverband CISA ist die Entwicklung nicht mehr geheuer: Trotz Krise erreichte der Stahlexport 2015 mit 112 Millionen Tonnen einen Rekord. Branchengrößen wie Baoshan Iron and Steel wurden zu mehr "Selbstdisziplin" aufgefordert und nicht bei Anzeichen für steigende Preise die Produktion hochzufahren. Doch der Aufruf verhallte. Einer Studie der Beratungsgesellschaft Custeel zufolge sind 68 vorübergehend stillgelegte Hochöfen mit einer Gesamtkapazität von 50 Millionen Tonnen wieder in Betrieb - darunter auch bislang unrentable "Zombie"-Hütten.
Trotz mangelnder Langfrist-Perspektiven erscheint den Werken ein Hochfahren der Produktion angesichts der durchschnittlichen Gewinnspanne von 77 bis 93 Dollar pro Tonne zu verlockend. "Solch hohe Werte hat man in China seit mindestens zwei Jahren nicht mehr gesehen", heißt es beim Beratungshaus Custeel. Die Preise zogen 2016 um rund 60 Prozent an. Doch auf den Rausch könnte ein Kater folgen, warnt der Stahlverband. Zunächst müssten die Werke feste Lieferverträge in der Tasche haben, bevor sie die Produktion steigerten: "Andernfalls ist es eine Wette auf die Zukunft und anziehende Nachfrage, die womöglich ausbleiben wird."