- von Alexander Hübner
München (Reuters) - Paukenschlag bei Siemens: Gut ein halbes Jahr vor dem geplanten Börsengang der Energie-Sparte muss deren designierter Chef gehen.
Michael Sen werde das Unternehmen ebenso wie sein Finanzvorstand Klaus Patzak "im gegenseitigen Einvernehmen" verlassen, teilte der Konzern am Donnerstagabend überraschend mit. Hintergrund ist laut Unternehmenskreisen ein seit längerem schwelender Streit über die Umstände der Abspaltung von Siemens Energy. Zugleich wird der Abschied von Joe Kaeser von der Spitze des Münchner Industriekonzerns konkreter: Sein Stellvertreter Roland Busch soll den Chefposten spätestens zur Hauptversammlung am 3. Februar 2021 übernehmen. Er übernimmt schon im Oktober die wichtigsten Zuständigkeiten von Kaeser und wird dann der neue starke Mann bei Siemens.
Kaeser soll Aufsichtsratschef von Siemens Energy werden. Anstelle von Sen übernimmt dort zum 1. Mai der Linde-Manager Christian Bruch die Führung. Am Zeitplan für die Abspaltung des Energiegeschäfts ändere sich dadurch nichts, betonte der Konzern: Siemens Energy soll im September an die Börse gehen.
Eigentlich sollte die endgültige Entscheidung über Kaesers Nachfolge erst im Sommer fallen. "Ich bin sehr froh, dass der Siemens-Aufsichtsrat mit den heute getroffenen Entscheidungen sowohl das Leadership Team der Siemens Energy maßgeblich stärken wird als auch den Nachfolgeprozess an der Spitze der Siemens AG noch schneller als ursprünglich geplant entschieden hat", sagte Aufsichtsratschef Jim Hagemann Snabe. Kaeser hatte lange damit geliebäugelt, seinen Anfang 2021 auslaufenden Vertrag doch noch zu verlängern, und damit Busch auf die Folter gespannt.
Snabe machte klar, dass Busch, bisher Technologie-Vorstand, der Richtige für einen Konzern sei, der sich auf die Industrie-Automatisierung (Digital Industries) und die Bautechnik (Smart Infrastructure) konzentrieren will. "Er vereint unternehmerische Weitsicht, Nähe zu den Kunden und ein tiefes Verständnis all der Technologien, die Siemens erfolgreich gemacht haben und auf die es in Zukunft ankommen wird", sagte der ehemalige SAP-Chef.
SCHON LÄNGER AUF DER SUCHE NACH EINER ALTERNATIVE
Warum Sen und Patzak abrupt gehen, ließ Snabe offen. Dass Bruch bereits in sechs Wochen anfängt, deutet darauf hin, dass man sich schon länger um einen Ersatz für Sen bemüht hatte. Der Streit um die Bedingungen für die Abnabelung der riesigen, aber renditeschwachen Energiesparte war zuletzt immer stärker nach außen gedrungen. Reuters hatte von Insidern erfahren, dass der Konzern seinen Anteil bereits zum Börsengang nur noch rund 30 Prozent an Siemens Energy halten sollte. "Sen wollte möglichst viel Beinfreiheit", sagte einer der Insider. Kaeser und Busch hätten dagegen zunächst weniger Anteile abgeben wollen. Uneins war man sich auch darüber, wie viel die renditeschwache Energie-Sparte für die Nutzung der Markenrechte und der Konzern-IT pro Jahr bezahlen sollte.
Der 50-jährige Bruch ist beim Industriegase-Konzern Linde bisher für die Anlagenbau-Sparte verantwortlich, die nach der Fusion mit dem US-Rivalen Praxair an Bedeutung verloren hat. Er gehört zugleich dem obersten Führungsgremium von Linde an. Der promovierte Maschinenbauer arbeitet seit 2004 für den Konzern. Um die Finanzen von Siemens Energy kümmert sich ab 1. Mai Maria Ferraro. Die 46-Jährige hat den gleichen Posten bisher in der erfolgreichen Sparte Digital Industries inne.
Kaesers Berufung zum Aufsichtsratschef von Siemens Energy hatte sich abgezeichnet. Der 62-Jährige, der Siemens seit 2013 führt, hatte eigentlich geplant, nach der vorgeschriebenen Wartezeit von zwei Jahren den Aufsichtsratsvorsitz der Siemens AG zu übernehmen. Doch daran stießen sich wichtige Investoren in zunehmendem Maße. Für Siemens Energy gilt die Wartefrist nicht.