Reuters

Neuer Siemens-Chef Busch startet mit Rückenwind

03.02.2021
um 12:47 Uhr

- von Alexander Hübner

München (Reuters) - Der neue Siemens-Vorstandschef Roland Busch kann trotz der Corona-Pandemie mit Rückenwind ans Werk gehen.

Nach einem überraschend guten Auftakt legte der Nachfolger von Joe Kaeser zu seinem Amtsantritt am Mittwoch die Latte für das laufende Geschäftsjahr 2020/21 höher: Der Umsatz des Technologiekonzerns soll um bis zu zehn Prozent wachsen, der Nettogewinn sogar um 20 bis 30 Prozent auf 5,0 bis 5,5 Milliarden Euro. Das sei "kein Abschiedsgeschenk, aber auch kein Antrittsgeschenk", sagte der 56-Jährige. Die Digitalisierung des Alltags sei der Schlüssel zum Erfolg von Siemens. Das Denken im Konzern müsse auf Wachstum ausgerichtet werden. In den sieben Jahren unter Kaeser stand der Umbau des Konglomerats im Vordergrund. Der 63-Jährige habe "das Unternehmen wie wenige andere geprägt und ein starkes Fundament für künftige Generationen hinterlassen", sagte Aufsichtsratschef Jim Hagemann Snabe.

Kaeser gibt den Vorstandsvorsitz nach der Hauptversammlung am Mittwoch an Busch ab. Der langjährige Siemens-Chef hatte die Medizintechnik-Sparte (Siemens Healthineers) an die Börse gebracht und die Energietechnik (Siemens Energy) abgespalten. Die Übernahme von Dresser Rand, eines Anlagenbauers für die Öl- und Gas-Industrie, entpuppte sich dagegen als Flop. Union-Investment-Portfoliomanagerin Vera Diehl, die lange eine von Kaesers größten Kritikerinnen war, lobte: "Herr Kaeser hat sich das Beste zum Schluss aufgehoben und auf den letzten Metern seiner Amtszeit noch ein Kursfeuerwerk gezündet." Am Mittwoch stieg die Siemens-Aktie um 1,5 Prozent auf 135,50 Euro, den höchsten Stand in der Ära Kaeser.

Jetzt gehe es darum, die Wachstumschancen nach der Corona-Krise zu nutzen, sagte der frühere SAP-Chef Snabe. "Nach der Pandemie wird sich die Digitalisierung der Industrie weiter beschleunigen. Die globale Wirtschaft wird sich neu ausrichten." Der Physiker Busch, der seit 25 Jahren für Siemens arbeitet, sei dafür der Richtige. Er erkenne technologische Trends frühzeitig. "Und er ergreift die unternehmerischen Chancen, die für Siemens daraus entstehen", formulierte Snabe seine Erwartungen. Busch forderte, Übernahmen für mehr als zehn Milliarden Euro - vor allem von Softwarefirmen - und Investitionen in Forschung und Entwicklung müssten sich nun auszahlen. Digitalisierung sei für ihn nicht Bedrohung, sondern "eine Antwort auf die großen Fragen unserer Zeit: auf Klimawandel, Globalisierung, Urbanisierung und demografischen Wandel".

Die Corona-Pandemie habe dem Konzern in die Hände gespielt, sagte die Vizepräsidentin der Aktionärsvereinigung DSW, Daniela Bergdolt. Jedes Unternehmen erkenne nun, dass Digitalisierung und Automatisierung die Entwicklung der nächsten Jahre prägten. "Das heißt, Siemens müsste sich vor Aufträgen nicht mehr retten können." Zwischen Oktober und Dezember wuchsen die Orders - dank einiger Zug-Großaufträge - um 15 Prozent auf 15,9 Milliarden und die Umsätze um sieben Prozent auf 14,1 Milliarden Euro.

STARK UND AGIL

"Das erste Quartal ist ein klarer Beweis, wie stark und agil Siemens sein kann, wenn es darum geht, seine Marktchancen zu nutzen", zeigte sich Busch zufrieden. Operativ hat er bereits seit Oktober die Zügel in der Hand. Dem Konzern habe nicht nur die unerwartet rasche Erholung etwa in der Autoindustrie und im Maschinenbau geholfen, wo Siemens viele Kunden hat. Die Corona-Beschränkungen drückten auch die Kosten für Dienstreisen um fast zwei Drittel. Das trieb den Nettogewinn um 38 Prozent auf 1,5 Milliarden Euro. Die Zuwächse kamen aus der Automatisierungs-Sparte Digital Industries, die Siemens auch für den Rest des Geschäftsjahres (per Ende September) treiben soll. Dort brummt das Geschäft vor allem in China, aber auch in Deutschland.

Die Prognosen für die beiden anderen Kerngeschäfte - Züge sowie Bau- und Infrastruktur-Technik (Smart Infrastructure) - bleiben unverändert. Die "neue" Siemens AG sei noch kein Hort der Glückseligkeit, sagte Deka-Vertreter Winfried Mathes. Der neue Chef müsse den Konzern auf Profitabilität trimmen. Smart Infrastructure sei ein Sammelsurium, dort müsse "dringend eine Portfolioschärfung her", Die Sparte müsse als Problemlöser in Sachen Klimaschutz positioniert werden.

"Ich bin dankbar, so ein starkes Unternehmen an die neue Führungsriege übergeben zu können", sagte Kaeser. Er habe sein Versprechen eingehalten, Siemens in einem besseren Zustand zu übergeben als bei seinem Amtsantritt. Siemens dürfe nicht nur den Kapitalmarkt-Interessen dienen. Aber zu Wachstum, Innovation und robuster Ertragskraft gebe es keine Alternative. Ohne seinen radikalen Umbau würde es Siemens zwar noch geben. "Aber sicher nicht mit (einem Kurs von) 130 Euro pro Aktie. Vielleicht dann zu 10 Euro und mit der Hälfte der Mitarbeiter. So wie andere Konglomerate, diesseits und jenseits des Atlantiks, die die Zeichen der Zeit nicht erkannt haben."

Siemens AG

WKN 723610 ISIN DE0007236101