Berlin/Ottawa/Düsseldorf (Reuters) - Die Bundesregierung hat sich erleichtert gezeigt, dass Kanada den Weg für die Lieferung der Siemens-Turbine für die Gaspipeline Nord Stream 1 frei gemacht hat.
"Wir begrüßen die Entscheidung unserer kanadischen Freunde und Verbündeten", teilte Kanzler Olaf Scholz (SPD) am Sonntag mit. Die Regierung in Ottawa hatte zuvor erklärt, man werde eine Ausnahme von den Russland-Sanktionen machen und die in Kanada gewartete Turbine nach Deutschland zurückschicken. Die Regierung der Ukraine rief Kanada dazu auf, die Entscheidung zurückzunehmen. Siemens Energy kündigte an, die Turbine schnellstmöglich an seinen Einsatzort bringen zu wollen. Reuters hatte am Donnerstag exklusiv berichtet, dass Kanada die Turbine zurücksenden werde.
Hintergrund der Verhandlungen zwischen der deutschen und kanadischen Regierung ist, dass Russland die Drosselung von Gaslieferungen durch die Nord Stream 1-Pipeline unter anderem mit der fehlenden Turbine begründete. Die Bundesregierung hatte indes betont, sie halte dies für vorgeschoben. Russland setze Gaslieferungen als politische Waffe ein. "Es ist ein vorgeschobener Grund. Und diesen vorgeschobenen Grund versuchen wir zu nehmen. Und vielleicht löst das ja etwas", sagte Wirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) im Deutschlandfunk. Russland hat erklärt, die Gaslieferungen nach Europa würden wieder erhöht, wenn die Turbine zurückkomme.
Die kanadische Regierung hatte gezögert, weil die Lieferung der gewarteten Turbine an den russischen Energiekonzern Gazprom gegen Sanktionsvorschriften verstoßen hätte. Nun wird die Turbine aber an Deutschland ausgeliefert. "Unser Ziel ist es, die Turbine so schnell wie möglich zu ihrem Einsatzort zu transportieren", kündigte Siemens Energy am Sonntag an. Die politische Entscheidung sei für die Ausfuhrgenehmigung der Turbine ein notwendiger und wichtiger erster Schritt. "Aktuell arbeiten unsere Experten mit Hochdruck an allen weiteren formalen Genehmigungen und der Logistik; dabei handelt es sich unter anderem um Vorgänge, die der Export- und Importkontrolle unterliegen."
Das Energie- und das Außenministerium der Ukraine teilten mit, sie seien über die Entscheidung Kanadas sehr enttäuscht. Kanada solle sie zurücknehmen. Die kanadische Regierung hatte am Samstag angekündigt, man werde eine zeitlich begrenzte und widerrufbare Genehmigung für Siemens Canada erteilen, um die Rückführung reparierter Nord Stream 1-Turbinen nach Deutschland zu ermöglichen. Ohne die notwendige Versorgung mit Erdgas bekäme die deutsche Wirtschaft große Probleme und es bestehe die Gefahr, dass die Deutschen ihre Häuser im Winter nicht mehr heizen könnten, hieß es.
Zugleich betonte Ottawa, dass man fest an der Seite der Ukraine stehe. Auch das Wirtschaftsministerium in Berlin unterstrich die Entschlossenheit beider Länder, die Ukraine im Kampf gegen den völkerrechtswidrigen Angriff Russlands zu unterstützen. "Wir waren und sind im guten und konstruktiven Austausch mit der kanadischen Regierung", sagte eine Sprecherin.
Die Kürzung der Gaslieferungen durch Nord Stream 1 hat zu Notmaßnahmen der Bundesregierung geführt. Sie sorgt sich unter anderem, dass die deutschen Gasspeicher bis zum Herbst nicht ausreichend gefüllt sein könnten, um auch Unternehmen, die auf Gas zur Produktion angewiesen sind, gut durch den Winter zu bringen. Am Montag beginnen Wartungsarbeiten an der Pipeline, die zehn Tage dauern dürften. Wiederholt wurde die Befürchtung geäußert, Russland könnte danach noch weniger Gas oder auch gar keines mehr durch die Pipeline schicken.
(Bericht von Andreas Rinke, Steve Scherer und Tom Käckenhoff; redigiert von Ralf Bode. Bei Rückfragen wenden Sie sich bitte an unsere Redaktion unter berlin.newsroom@thomsonreuters.com (für Politik und Konjunktur) oder frankfurt.newsroom@thomsonreuters.com (für Unternehmen und Märkte).)