Ökonomen-Stimmen zu geldpolitischen Entscheidungen der EZB
FRANKFURT (dpa-AFX) - Die Leitzinsen im Euroraum sinken zum sechsten Mal seit Sommer 2024. Die Europäische Zentralbank (EZB) hat den für Banken und Sparer wichtigen Einlagensatz um 0,25 Prozentpunkte auf 2,5 Prozent verringert, wie die Notenbank am Donnerstag in Frankfurt mitteilte. Die Bekämpfung der Inflation komme gut voran, heißt es in der Mitteilung. EZB-Präsidentin Christin Lagarde bekräftigte frühere Aussagen, dass künftige Zinsentscheidungen von der weiteren Entwicklung der Konjunkturdaten abhängig seien. Es gebe keinen festgelegten Fahrplan für die weitere Geldpolitik.
Einschätzungen von Ökonomen zu den geldpolitischen Entscheidungen im Überblick:
Mark Wall, Chefvolkswirt Deutsche Bank
"Die EZB befindet sich in einer schwierigen Lage. Auf der einen Seite die Drohung von US-Zöllen in naher Zukunft, die weitere Leitzinssenkungen rechtfertigen könnten. Auf der anderen Seite die Verpflichtung, in den nächsten Jahren höhere Verteidigungsausgaben zu tätigen, die zur Sicherung der strategischen Autonomie Europas erforderlich sein werden. Dieses Umfeld erfordert eine geschickte Handhabung der Geldpolitik."
Michael Heise, Chefökonom bei HQ Trust
"Die Notenbank rechnet damit, den Zielwert von zwei Prozent schon am Ende des Jahres zu erreichen, nachdem die Inflationsrate in den vergangenen vier Monaten darüber lag. Risiken für diese Prognose gibt es gleich mehrere: Etwa die bis zuletzt recht stark steigenden Lohn- und Lohnnebenkosten, die mit einer Verzögerung in die Preise überwälzt werden dürften. Zudem werden die immens großen, schuldenfinanzierten Ausgabenprogramme für die Verteidigung und die Infrastruktur in Deutschland zusammen mit lockereren Verschuldungsregeln EU-weit die Nachfrage in stark ausgelasteten Branchen erhöhen und preissteigernd wirken. (...) Eine weitere Lockerung der Geldpolitik im April dürfte angesichts der Preisrisiken nicht angemessen sein. Es ist mit einer Zinssenkungspause zu rechnen."
Thomas Gitzel, Chefvolkswirt VP Bank
"Die EZB bereitet die Finanzmärkte auf eine Pause vor. Möglicherweise wird dies bereits auf der nächsten Zinssitzung im April der Fall sein. Aus unserer Sicht werden die europäischen Währungshüter aber im weiteren Jahresverlauf die Zinsen fortgesetzt senken. Ein Einlagensatz von 2% bleibt realistisch. Weitere geldpolitische Lockerungen werden fallende Inflationsraten ermöglichen. Es kommt zu Basiseffekten im Bereich von Dienstleistungspreisen. Von den geplanten historisch hohen Ausgaben der potenziellen neuen Bundesregierung gehen zunächst keine Inflationsgefahren aus."
Claus Vistesen, Chefvolkswirt Eurozone bei Pantheon Macroeconomics
"Wir gehen immer noch von einer Pause im April aus. Allerdings räumen wir ein, dass dieses Treffen nun völlig offen ist und von den Maßnahmen des Weißen Hauses abhängt, die unvorhersehbar sind. (...) Die Wahrscheinlichkeit, dass die heutige Senkung die letzte ist, ist gestiegen."
Carsten Brzeski, Chefvolkswirt bei der ING Bank
"Angesichts der zunehmenden Unsicherheit und der Aussicht auf umfangreiche fiskalische Anreize ist die Marschrichtung der EZB nach der heutigen Zinssenkung nicht mehr so klar wie noch vor einigen Wochen. Eine Pause bei der nächsten Sitzung, um sich mit der neuen makroökonomischen Realität abzufinden, scheint nun möglich. Doch auch wenn die Notwendigkeit weiterer Zinssenkungen allmählich schwindet, ist die EZB noch nicht aus dem Schneider. Steigende Anleiherenditen aufgrund höherer Staatsverschuldung könnten der Eurozone bald ein weiteres Thema bescheren: die Kontrolle der Zinskurve."
Jens-Oliver Niklasch, Analyst Landesbank Baden-Württemberg
"Es läuft eigentlich weiterhin darauf hinaus, dass die EZB weiterhin datenabhängig und von Meeting zu Meeting entscheidet. Vermutlich wird sie auch mal eine Zinspause einlegen. (...) Beim nächsten Treffen wird der EZB-Rat schon wieder klüger sein, aber wir glauben erst für den Juni an die nächste Senkung um 0,25 Prozentpunkte. Im April wird die EZB pausieren."
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