Schüsse auf Nationalgardisten: Warum Trump auf Härte setzt
WASHINGTON (dpa-AFX) - Es ist kurz vor Mitternacht in Washington, als US-Präsident Donald Trump noch einmal schreibt. Stunden zuvor hat er den Tod einer in der US-Hauptstadt angeschossenen Nationalgardistin bekanntgegeben. Trump setzt in der Nacht zum Freitag (Ortszeit) drei lange, wütende Posts auf seiner Plattform Truth Social ab. "Ein fröhliches Thanksgiving", wünscht er in bissigem Tonfall denjenigen, die seiner Auffassung nach zugelassen haben, "dass unser Land gespalten, zerstört, zerstückelt, ermordet, geschlagen, überfallen und ausgelacht wird".
Am Mittwoch waren zwei Nationalgardisten nur wenige Häuserblöcke vom Weißen Haus entfernt angeschossen worden. Die 20 Jahre alte Frau erlag ihren schweren Verletzungen, der 24-jährige Mann kämpft laut Trump noch ums Überleben. Der mutmaßliche Täter: ein 2021 in die USA eingereister Afghane. Trump kündigt in seinen Posts einen weitreichenden Aufnahmestopp der USA an. Er will nun Entschlossenheit und Härte demonstrieren. Doch das schnelle Drängen auf Vergeltung birgt für den Präsidenten auch Risiken.
Was Trump in die Hände spielt
* Der Wunsch nach Stärke und mehr Einheit im eigenen Lager: Den Angriff eines aus Afghanistan stammenden Verdächtigen nutzt Trump, um seine Regierung als stark zu zeigen. Die Botschaft lautet: Diese Regierung greift durch. Damit bedient er vor allem Erwartungen aus dem eigenen Lager - die der Bewegung "Make America Great Again" (Maga) und seiner republikanischen Partei. Zuletzt schien die Einigkeit im Maga-Lager zu bröckeln, es gab sogar öffentlich lautstarke Kritik an Trump.
Dabei ging es um ein unbeliebtes Thema für den Präsidenten: die Veröffentlichung der Ermittlungsakten zum gestorbenen Sexualstraftäter Jeffrey Epstein, der einen Missbrauchsring betrieb. Trump schwankte lange bei der Frage der Veröffentlichung. Der politische Druck auf ihn wuchs enorm. Der US-Präsident könnte nun das Momentum nach den Schüssen in Washington nutzen, um im eigenen Lager Geschlossenheit zu beschwören und von anderen unangenehmen Themen abzulenken.
* Möglicher neuer Zuspruch für geschlossene Grenzen: Trumps Kernprojekte sind eine verschärfte Abschiebepolitik auch mit umstrittenen Razzien, eine restriktivere Einwanderungspolitik und der immer weiter betriebene Ausbau des Militärs. Seit dem Beginn seiner zweiten Amtszeit ist die Zahl der Festnahmen nach illegalen Übertritten an der geschlossenen Südgrenze der USA deutlich zurückgegangen. Die Zahl der Inhaftierten in Abschiebe-Gefängnissen stieg auf ein neues Allzeithoch.
Es gibt aber starke Kritik am Vorgehen der Migrationsbehörde ICE bei Festnahmen und daran, dass gegen viele Festgenommene keine genauen Vorwürfe vorliegen. Den Angriff auf Nationalgardisten nutzt Trump jetzt, um der demokratischen Vorgängerregierung von Joe Biden eine verfehlte Migrationspolitik vorzuwerfen. In seinen nächtlichen Posts auf Truth Social verschärft er einmal mehr seine Rhetorik in der Migrationspolitik. Obwohl er keine Details zu seinem angekündigten Aufnahmestopp nennt und unklar ist, wie und wann er diesen durchsetzen will, dürfte ihm das Thema nutzen: Seine Migrationspolitik ist für ihn bisher ein Gewinnerthema in Umfragen.
* Eindruck hoher Kriminalität in Städten: Den von Trump angeforderten Einsatz von Nationalgardisten in US-Städten begründet er damit, angeblich ausufernde Kriminalität zu bekämpfen. Washington bezeichnete er als "Rattenloch". Kriminalstatistiken widersprachen Trump. Mit dem Einsatz der Nationalgarde testete er auch seine Machtbefugnisse und setzte sich zum Teil über den ausdrücklichen Willen der Städte oder Bundesstaaten hinweg. Gerichte beschäftigen sich inzwischen damit. Trump hält an den Einsätzen fest: Nur kurz nach den Schüssen in der US-Hauptstadt legte er nach und beorderte 500 weitere Nationalgardisten nach Washington. Seine Botschaft: Wir weichen nicht.
Das sind die Gefahren für Trump
* Fehlender Rückhalt für Nationalgarde-Einsätze: Es ist unklar, wie sich die Attacke auf die Nationalgardisten auf die Unterstützung der Bevölkerung für eine Präsenz der Soldaten in den Städten auswirkt. Demokraten werfen Trump vor, Geld dafür hinauszuwerfen, dass die Soldaten eher durch reine Präsenz als durch konkretes Handeln ein Gefühl vermeintlicher Sicherheit vermitteln. Die Soldaten werden in Washington häufig an touristischen Hotspots rund um Denkmäler und Museen positioniert. Nach dem Angriff könnte der Druck auf Trump steigen, diese Einsätze zu rechtfertigen oder zurückzufahren.
* Kritik an martialischer Rhetorik: Trump hätte an einem der wichtigsten Feiertage in den USA - dem Erntedankfest Thanksgiving - einen anderen Ton wählen können. Die Amerikaner sind an dem Tag bei ihren Familien, es geht um Frieden und Zusammenhalt. Trump hätte seine Worte an die ohnehin tief gespaltene Nation für einen Appell an Einigkeit und Versöhnung nutzen können. Mit den nun angekündigten harten Konsequenzen geht Trump das Risiko ein, die Spaltung zu vergrößern./rin/DP/mis