- von Andreas Rinke
Berlin/Brüssel (Reuters) - Jeder US-Präsidentschaftswahlkampf bringt neue Mittel der politischen Auseinandersetzung.
In der Kampagne 2016 ist etwa der massenweise Einsatz sogenannter "social bots" ein neues Phänomen. Computergenerierte "Bots" - abgeleitet von "robots" - werden sowohl vom Lager der Republikaner als auch der Demokraten eingesetzt, um Stimmung in sozialen Medien zu machen. Sie suggerieren dabei den Eindruck, als ob menschliche Nutzer hinter Kommentaren etwa zum republikanischen Kandidaten Donald Trump bei Twitter, Facebook und Co stecken. In Wahrheit fluten Computer aber mit künstlich erzeugten Identitäten die Seiten von Politikern mit zustimmenden oder ablehnenden Kommentaren - mit möglicherweise großen Auswirkungen auf die politische Auseinandersetzung in Demokratien.
Knapp ein Jahr vor der Bundestagswahl hat deshalb am Wochenende Bundeskanzlerin und CDU-Chefin Angela Merkel Alarm geschlagen. "Wollen wir mal zwischen den Parteien sprechen, ob wir gemeinsam dagegen kämpfen?" fragte sie auf dem Deutschlandtag der Jungen Union, der Jugendorganisation von CDU und CSU. Merkels Warnung zeigt, dass die deutsche Politik zunehmend alarmiert ist vom Einfluss neuer technologischer Möglichkeiten auf die Politik - auch wenn es noch keine offiziellen Hinweise auf eine Bots-Nutzung in Deutschland gibt.
FRÜHER DER BERUFSDEMONSTRANT, HEUTE DER SOZIALE BOT
Dass versucht wird, Politik mit Geld und Tricks zu beeinflussen, ist nichts Neues. Im Jahr 2006 etwa hatte die Kassenärztliche Bundesvereinigung (KBV) für Aufregung gesorgt, als bekannt wurde, dass sie 170 Demonstranten für eine Protestaktion gegen die Gesundheitsreform "mietete". Im Jahr 2013 musste die FDP sich gegen Vorwürfe wehren, sie habe ihre Gefolgschaft bei Twitter durch eine Reihe von Fake-Profilen gegen Geld aufblähen lassen - was die Liberalen schon damals und auch jetzt energisch bestritten. Damals bat die FDP Twitter, die falschen Follower zu löschen.
Doch jetzt lässt der technische Fortschritt ganz andere Formen der Einflussnahme zu: Die Bots sind die Weiterentwicklung sogenannter Trolle, die bisher die Internet-Community und auch die Parteien verunsicherten. Hinter Trollen verbergen sich Menschen, die oft gegen Geld Kommentare etwa zu politischen Debatten in großer Zahl auf sozialen Netzwerken posten. Die IT-Technologie entwickelt sich aber so schnell weiter, dass Computer heute mit künstlicher Intelligenz bereits eigenständig einfache Kommentare schreiben können - in einer viel höheren Anzahl.
Dazu kommt die wachsende Sorge von Politikern im Westen, dass autoritär regierte Länder wie Russland versuchen, diese neuen digitalen Instrumente zur direkten Einflussnahme auf den politischen Prozess in freien liberalen westlichen Demokratien zu nutzen. Die russische Regierung etwa pumpt nicht nur große Summen in staatliche Auslandssender und schürte etwa im Fall einer angeblich von Flüchtlingen entführten jungen Russlanddeutschen in Berlin aus Sicht der Bundesregierung bewusst Empörung. Die US-Geheimdienste haben Moskau jetzt auch erstmals offiziell vorgeworfen, mit Hackerattacken direkt in den Wahlkampf in den USA einzugreifen. Europäische Sicherheitsbehörden werfen Russland seit Monaten vor, systematisch rechtsnationalistische Bewegungen in den EU-Staaten durch Troll-Kommentare und Desinformationskampagnen zu fördern.
In einer ersten Welle der versuchten Gegenwehr ist in Deutschland das Thema der Hassmails und der zunehmenden Aggressivität gegen Politiker in den sozialen Netzwerken thematisiert worden, etwa von Justizminister Heiko Maas (SPD). Mittlerweile erkennen die Parteien langsam die potenzielle Bedeutung von Bots. CDU-Generalsekretär Peter Tauber etwa weist darauf hin, wie wichtig es ist, auch künftig zu erkennen, was echte Zuschriften von Bürger sind. "Auch deshalb müssen wir Nachrichten von Bots erkennen, die die Realität verfälschen, damit es keine Themenagenda vorbei an den wirklichen Interessen der Leute gibt", sagte er zu Reuters. Nur wissen die Experten nicht, wie man bei immer ausgefeilteren Computerprogrammen noch feststellen kann, wer hinter Kommentaren steckt. Denn digitale Filter, wie sie mittlerweile gegen bestimmte Begriffe in Hassmails eingesetzt werden, gibt es für die Bots bisher nicht.
PROFITIEREN VOR ALLEM RADIKALE POLITIKER?
SPD-Generalsekretärin Katarina Barley ist der Meinung, dass das reine Zählen von Fans und Followern ohnehin nicht zielführend ist und nichts über Engagement und Beziehung zwischen Menschen oder deren Interessen aussagt. Das stimmt zwar, sagen auch britische Forscher. Allerdings gibt es laut einer von der BBC zitierten Studie der Universität Oxford den Effekt, dass sich Menschen in sozialen Netzwerken durchaus von einer hohen Anzahl von Likes oder Zustimmungen beeindrucken lassen - und dann leichter diese Meinungen übernehmen.
Auch in den USA wird deshalb debattiert, ob von Computern erzeugte Nachrichten radikale Politiker unterstützen, weil der Eindruck erzeugt wird, als ob eine Vielzahl von Bürgern eine bestimmte Meinung teilt - und ob dies reicht, um einen Außenseiter wie Trump interessant oder gar "gesellschaftsfähig" im Netz zu machen. Ähnliche Analysen hatte es auch bei der Brexit-Kampagne in den Monaten vor dem Referendum in Großbritannien im Juni gegeben. "Studien belegen: Bots tragen zu radikalisiertem Ton in Diskussionen bei, weil sich gemäßigte Stimmen zurückziehen", warnt deshalb CDU-Generalsekretär Tauber. "Auch das ist eine Herausforderung, der sich die demokratischen Parteien stellen müssen."
Fragt sich, was die deutschen Parteien tun werden. Auf Reuters-Anfrage betonten etwa CDU, CSU, SPD, Grüne und FDP, dass sie auch im Wahlkampf 2017 auf keinen Fall solche Bots einsetzen wollen. "Manipulation durch social bots lehnen wir ab. Wenn sich die Parteien untereinander darüber verständigen können, begrüße ich das sehr", sagte etwa der Bundesgeschäftsführer der Grünen, Michael Kellner, zu Reuters. "Social Bots sind der falsche Weg. Es wäre gut, wenn es dazu einen Konsens unter den Parteien geben könnte", betonte auch ein CSU-Sprecher. SPD-Generalsekretärin Barley reagierte etwas zurückhaltender: "Jede Partei muss für sich selbst entscheiden, ob sie diese für sich verwendet oder nicht." Grundsätzlich spreche aber nichts dagegen, sich bei diesem Thema mit den anderen demokratischen Parteien auszutauschen und abzusprechen.