Reuters

Kanada - Flugzeug im Iran wohl versehentlich abgeschossen

10.01.2020
um 07:42 Uhr

- von Alexandra Alper und Doina Chiacu und Mark Hosenball

Washington (Reuters) - Nach dem Absturz einer Passagiermaschine bei Teheran geht Kanada von einem Abschuss durch eine iranische Boden-Luft-Rakete aus.

Das ergebe sich aus Geheimdienstinformationen verschiedener Herkunft, sagte Premierminister Justin Trudeau am Donnerstag. An Bord des Flugzeugs auf dem Weg in die Ukraine waren 176 Menschen, davon 63 Kanadier. Es gab keine Überlebenden. Trudeau sagte weiter, der Abschuss sei wohl unbeabsichtigt gewesen. Kurz zuvor war schon in US-Regierungskreisen der Verdacht geäußert worden, dass es sich um ein Versehen der iranischen Luftabwehr gehandelt habe. Die iranische Luftfahrtaufsicht wies die Anschuldigungen zurück und die Teheraner Führung bezeichnete sie als "psychologische Kriegsführung. Kurz vor dem Absturz hatte der Iran Raketen auf US-Militärstützpunkte im Irak abgefeuert.

Ähnlich wie Trudeau äußerte sich am Abend auch der britische Premierminister Boris Johnson. Es gebe eine Reihe von Beweisen, dass das Flugzeug von einer iranischen Rakete abgeschossen wurde, sagte Johnson. Dies könnte ein Versehen gewesen sein.

Zuvor hatten US-Regierungsvertreter gesagt, man sei sich in Washington nun sicher, das Flugzeug sei versehentlich von einer iranischen Rakete getroffen worden. Ein Regierungsvertreter erklärte, der Iran habe die Boeing 737-800 auf seinem Radar gehabt. US-Satelliten hätten den Start von zwei Boden-Luft-Raketen kurz vor dem Absturz registriert. Hinweise gebe es zudem auf eine Explosion in der Nähe des Flugzeugs und den Brand der Maschine. US-Präsident Donald Trump sagte, der Fall sei tragisch. "Aber jemand könnte einen Fehler gemacht haben - auf der anderen Seite."

IRANISCHE LUFTFAHRTBEHÖRDE: "WISSENSCHAFTLICH UNMÖGLICH"

Der Iran reagierte umgehend: Der Chef der zivilen Luftfahrtbehörde, Ali Abedsadeh, sagte der Nachrichtenagentur ISNA zufolge, bei der US-Darstellung handele es sich um "unlogische Gerüchte". "Wissenschaftlich gesehen ist es unmöglich, dass eine Rakete die ukrainische Maschine getroffen hat." Ein Regierungssprecher sagte später im staatlichen Fernsehen, Vertreter der Länder von Absturzopfern seien im Iran willkommen und Boeing solle sich an der Auswertung des Flugschreibers beteiligen. Das iranische Außenministerium forderte Kanada laut der Agentur Irna auf, seine Informationen über den Absturz nach Teheran weiterzuleiten.

Erste Spekulationen über einen Abschuss waren sehr bald nach dem Absturz aufgekommen. Am Donnerstag wurden sie aber zunächst von Vermutungen abgelöst, es gebe eine technische Ursache für das Unglück. Iranische Ermittler sprachen in einem vorläufigen Bericht von einem "Unfall" aufgrund eines technischen Problems. Die Vorlage eines solchen vorläufigen Berichts schon binnen 24 Stunden ist allerdings selten. Es kann mitunter Monate dauern, bis die Ursachen von Flugzeugabstürzen geklärt sind. Doch auch westliche Geheimdienste waren Sicherheitskreisen zufolge zunächst zu einer ähnlichen Einschätzung gekommen wie die iranischen Ermittler.

Augenzeugen hatten am Boden und von einer anderen Maschine aus großer Flughöhe hinaus beobachtet, dass das Flugzeug von Ukrainian International Airlines schon in der Luft in Brand geriet. An Bord waren größtenteils Iraner und iranischstämmige Kanadier. Ihr Flugziel Kiew war für sie ein Zwischenhalt.

Die Ukraine erklärte, ihre Ermittler wollten den Absturzort nach möglichen Trümmern einer vom Iran genutzten Rakete russischer Bauart absuchen. Informationen über solche Teile seien im Internet aufgetaucht. Als mögliche Unglücksursachen nannte die Ukraine ebenfalls einen Raketenangriff sowie eine Kollision, eine Triebwerksexplosion oder einen Terrorakt.

Angesichts der jüngsten iranischen Raketenangriffe auf US-Ziele im Irak haben mehrere Fluggesellschaften Verbindungen gestrichen und den Luftraum Iran/Irak umflogen. Aus Rache für die gezielte Tötung des iranischen Generals Kassem Soleimani durch US-Kräfte hatte der Iran kurz vor dem Absturz der Boeing von den USA angeführte internationale Truppen im Irak mit Raketen angegriffen.

Boeing Co.

WKN 850471 ISIN US0970231058