- von Alexander Cornwell und Parisa Hafezi
Dubai (Reuters) - Zwei Tage nach dem Absturz eines ukrainischen Passagierflugzeugs im Iran heizt der Streit über die Unglücksursache die Spannungen in der Region zusätzlich an.
Führende westliche Staaten gehen mittlerweile von einem versehentlichen Raketenabschuss durch die iranische Luftabwehr aus. Die Regierung in Teheran wies diese Darstellung zurück und sprach von "psychologischer Kriegsführung" gegen ihr Land. Aufklärung soll die Auswertung der Flugschreiber bringen, die am Freitag geöffnet werden sollten. Diese Aufgabe will der Iran selbst übernehmen, gegebenenfalls aber Hilfe bei den ebenfalls von dem Absturz betroffenen Ländern einholen.
Bei Bedarf könnten die Daten auch nach Russland, Kanada, Frankreich oder die Ukraine geschickt werden, sagte der Chef der iranischen Behörde für die zivile Luftfahrt, Ali Abedsadeh, auf einer Pressekonferenz. Die meisten der 176 ums Leben gekommenen Passagiere waren Iraner oder iranischstämmige Kanadier, die über die Ukraine nach Kanada weiterreisen wollten. In Frankreich befindet sich der Sitz des Unternehmens, das die Triebwerke der Boeing 737-800 von Ukrainian International Airlines hergestellt hatte.
Die Auswertung der Kommunikations- und Flugdatenaufzeichnungen könne ein oder zwei Monate, die gesamten Ermittlungen ein bis zwei Jahre dauern, ergänzte Abedsadeh. Seine Behörde hatte bereits am Donnerstag überraschend schnell einen vorläufigen Bericht vorgelegt, worin von einem technischen Problem kurz nach dem Start die Rede war. Sicherheitskreisen zufolge waren auch westliche Geheimdienste zunächst von einer technischen Absturzursache ausgegangen.
Später wurde zuerst in US-Regierungskreisen und dann vom kanadischen Ministerpräsidenten Justin Trudeau die Vermutung geäußert, das Flugzeug sei unabsichtlich von der iranischen Luftabwehr mit einer Rakete abgeschossen worden. Ein US-Regierungsvertreter verwies auf Daten heimischer Satelliten, Trudeau auf Geheimdienstinformationen verschiedener Herkunft. US-Präsident Donald Trump sprach von einem tragischen Fall und sagte: "Jemand könnte einen Fehler gemacht haben - auf der anderen Seite." Anschließend schloss sich auch der britische Premierminister Boris Johnson der Abschuss-Theorie an.
IN ALARMBEREITSCHAFT
Zum Zeitpunkt des Absturzes befand sich der Iran in Alarmbereitschaft. Er stellte sich auf einen Gegenschlag der USA ein, nachdem er selbst zuvor Stützpunkte der von den USA geführten Truppen im Irak mit Raketen beschossen hatte. Dieser Beschuss war seinerseits eine Vergeltung für die Tötung des iranischen Generals Kassem Soleimani im Irak durch einen gezielten Luftangriff des US-Militärs vor einer Woche.
Die "New York Times" veröffentlichte Videos, die zeigen sollen, wie eine iranische Rakete nahe eines Teheraner Flughafens ein Flugzeug trifft. Der iranische Flugaufsichtschef Abedsadeh sagte, die Echtheit der Aufnahmen könne nicht verifiziert werden. Er rief die USA und Kanada dazu auf, ihre Informationen an die Internationale Zivilluftfahrtorganisation ICAO zu übergeben. Auf Internetplattformen zeigten sich iranische Bürger empört über die Behörden, weil diese den Flughafen nach den Raketenabschüssen auf US-Ziele nicht geschlossen hatten.
Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj schloss einen Abschuss der Maschine nicht aus. Aber diese Erklärung sei bislang nicht bestätigt, fügte er hinzu. Als mögliche Ursachen hatte die Ukraine neben einem Raketentreffer und einer Triebwerksexplosion auch "Terrorismus" und eine Kollision genannt. Die Regierung in Kiew hatte zudem den Wunsch geäußert, die Absturzstelle nach etwaigen Trümmerteilen einer vom Iran benutzten Rakete russischer Bauart abzusuchen. Der französische Außenminister Jean-Yves Le Drian sagte im RTL-Hörfunk, es sei wichtig, dass so schnell wie möglich für Klarheit gesorgt werde. Ähnlich äußerte sich sein deutscher Amtskollege Heiko Maas. Die staatliche iranische Nachrichtenagentur Irna meldete, Vertreter der USA, Kanadas und Frankreichs reisten in den Iran. Dort sollten sie an Treffen teilnehmen, die mit den Ermittlungen zusammenhängen.