- von Ursula Knapp und Matthias Inverardi
Karlsruhe (Reuters) - Das Bundesverfassungsgericht hat den Berliner Mietendeckel für verfassungswidrig erklärt.
Das Land sei nicht berechtigt gewesen, einen Sonderweg zu gehen. Da der Bund bereits 2015 die Mietpreisbremse beschlossen hatte, liege die Gesetzgebungsbefugnis ausschließlich beim Bund, heißt es in dem am Donnerstag veröffentlichten Beschluss. Damit hatte die Klage von 284 Bundestagsabgeordneten der Union und der FDP in Karlsruhe Erfolg. Auch zwei Berliner Zivilgerichte hatten Karlsruhe um Klärung gebeten. Folge ist, dass das Gesetz von vorn herein ungültig war und es nun zu Rückforderungen von Vermietern kommen kann (AZ: 2 BvF 1/20 2 BvL 4/20 2 BvL 5/20). Das Land Berlin zeigte sich enttäuscht und sieht nun ebenso wie der Mieterbund den Bund in der Pflicht. FDP und Union sowie Wohnungskonzerne begrüßten die Entscheidung. Aktien der in Berlin engagierten Unternehmen Vonovia und Deutsche Wohnen zogen an.
Der Berliner Mietendeckel war bundesweit einmalig. Am 23. Februar 2020 wurden die Mieten für 1,5 Millionen Wohnungen für fünf Jahre eingefroren, und zwar auf dem Stand vom Juni 2019. Erst ab 2022 sollten Erhöhungen von höchstens 1,3 Prozent jährlich möglich sein. Bei einem Mieterwechsel musste sich der Vermieter an die zuletzt verlangte Miete halten. Zudem galt eine Obergrenze für Mieten. Ein Überschreiten der Obergrenze um mehr als 20 Prozent war gesetzlich verboten und konnte mit hohen Geldbußen geahndet werden. Mieter konnten zu viel gezahltes Geld zurückverlangen.
Abgeordnete der CDU/CSU und FDP-Fraktion im Bundestag beanstandeten, dass das Land Berlin damit seine Befugnisse überschritten habe, denn der Bund habe 2015 bereits eine Mietpreisbremse verabschiedet. Diese Mietpreisbremse ist weniger einschneidend, weil sie kein Einfrieren der Mieten enthält. Nach der bundeseinheitlichen Mietbremse dürfen bei Neuvermietungen in Gebieten mit knappem Wohnungsangebot die Preise maximal zehn Prozent über der ortsüblichen Miete liegen. Mieterhöhungen in bestehenden Verträgen müssen sich an der ortsüblichen Vergleichsmiete beziehungsweise dem Mietspiegel orientieren. Berlin wird sich nun an die bundesweit geltenden Vorschriften halten müssen.
MIETERBUND: GESETZGEBER MUSS MIETENEXPLOSION STOPPEN
Der Berliner Senat sieht den Bund am Zug. "Es ist nun die Aufgabe des Bundes, entweder ein wirkungsvolles Mietpreisrecht zu schaffen, das die soziale Mischung in den Städten sichert oder aber den Ländern die Kompetenz dafür zu übertragen", erklärte Stadtentwicklungssenator Sebastian Scheel (Linke). Für Mieter in Berlin bedeutet das Urteil, dass sie gegebenenfalls auch die Differenz zwischen der Mietendeckelmiete und der Vertragsmiete nachzahlen müssen. Der Deutsche Mieterbund nannte die Karlsruher Entscheidung "bitter", sie treffe die Bewohner von 1,5 Millionen Berliner Mietwohnungen. "Aber sie ist auch ein lauter Weckruf an den Bundesgesetzgeber endlich zu handeln und die Mietenexplosion in vielen deutschen Städten zu stoppen!", sagte der Präsident des Deutschen Mieterbundes, Lukas Siebenkotten. Eine wirksame Mietenbegrenzung auf Bundesebene sei überfällig.
Der Wohnungskonzern Vonovia kündigte an, keine Nachzahlungen zu verlangen. Die Deutsche Wohnen - der größte private Vermieter in der Hauptstadt - äußerte sich zunächst nicht. Der BFW Bundesverband Freier Immobilien- und Wohnungsunternehmen begrüßte das Urteil, betonte aber auch die soziale Verantwortung der Vermieter. "Bei jetzt fällig werdenden Mietnachzahlungen appellieren wir an alle Marktteilnehmer, sozial verantwortlich zu handeln", sagte BFW-Präsident Andreas Ibel.
CDU: MIETENDECKEL HAT PROBLEME VERSCHÄRFT
Die FDP begrüßte die Entscheidung des Verfassungsgerichts. "Das verfassungswidrige Instrument hat nachweislich nicht zu mehr bezahlbarem Wohnraum geführt", sagte der Parlamentarische Geschäftsführer der FDP-Bundestagsfraktion, Marco Buschmann. "In Berlin werden Neubauprojekte verschoben, Sanierungen eingespart und die Schlangen bei den Wohnungsbesichtigungen werden länger statt kürzer." Ähnlich äußerte sich auch die CDU: "Der Mietendeckel hat keine Probleme gelöst, sondern sie vielfach erst geschaffen oder gar verschärft", sagte Wolfgang Steiger, Generalsekretär des Wirtschaftsrates.
Der Mietendeckel hatte bereits nach seiner Einführung Spuren in den Bilanzen der beiden größten deutschen Immobilienkonzerne Deutsche Wohnen und Vonovia hinterlassen. Die stark in Berlin engagierte Deutsche Wohnen hatte etwa ihre Gewinnprognose 2021 an das Aus für den Berliner Mietendeckel geknüpft. Sie verfügt über rund 116.000 Wohnungen in der Hauptstadt.