- von Andreas Rinke und Trevor Hunnicutt und Julie Steenhuysen
Berlin/Washington (Reuters) - Seit Tagen wächst bei Regierungen in Europa und den USA hinter den Kulissen die Sorge über den Umgang Chinas mit der Corona-Pandemie.
Nach der Aufgabe der "Null-Covid-Politik" füllen sich die Krankenhäuser mit frisch Infizierten - von denen viele nicht geimpft sind. Umso drängender ist die Frage, was Deutschland, Europa und die USA tun können, um China zu helfen - schon aus eigenem Interesse. Die strikten Corona-Lockdowns in der Volksrepublik in den vergangenen zwei Jahren hatten wichtige Lieferketten unterbrochen. Angesichts der plötzlichen Rücknahme der strengen Covid-Regeln Anfang Dezember droht jetzt zum einen, dass die Corona-Welle die Produktion in China erneut beeinträchtigt und zum anderen, dass neue Virus-Varianten über China verstärkt in andere Länder getragen werden.
Dabei ist das Problem nicht neu. Kanzler Olaf Scholz hatte schon bei seiner Reise nach Peking am 4. November Hilfe angeboten. Nicht ohne Grund war Biontech-Chef Ugur Sahin Teil der Wirtschaftsdelegation: Denn das Mainzer Unternehmen hätte mit seinen Produktionskapazitäten die Möglichkeit, auch das Riesenreich mit modernem Impfstoff zu beliefern - wartet aber immer noch auf die Zulassung in China. Peking will diese erst erteilen, wenn die europäische Zulassungsbehörde EMA auch den Impfstoff der chinesischen Firma Sinovac in Europa genehmigt, der allerdings als weniger wirksam gilt. Für Hoffnung hatte gesorgt, dass Chinas Führung zumindest die Biontech-Impfung für Deutsche in China erlaubte - weshalb Gesundheitsminister Karl Lauterbach mit einer Ministererlaubnis auch den Weg für einen Sinovac-Einsatz für Chinesen in Deutschland freimachte.
Doch dann kam die plötzliche generelle Öffnung in China: Und statt mit einer umfassenden Impfung der Bevölkerung den Weg für eine schrittweise Öffnung zu ermöglichen, ließ Chinas Führung das Virus auf die zuvor abgeschottete, unterdurchschnittlich geimpfte Bevölkerung los - mit dem Hinweis, dass die Omikron-Variante weniger gefährlich sei.
Die Bundesregierung hat Peking nach Informationen von Reuters in den vergangenen Tagen noch einmal Hilfsangebote gemacht. Auch Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier sprach das Thema in seinem Telefonat mit Präsident Xi Jinping am Dienstag an. "Wir haben deutlich gemacht, dass wir bereit sind, auf jede Weise zu helfen, die sie für akzeptabel halten", sagte zudem der Sprecher des Nationalen Sicherheitsrates der USA, John Kirby.
ANGST VOR GESICHTSVERLUST
Doch offenbar hat Chinas Führung ein Problem damit, Hilfe anzunehmen. Xi beharrt seit langem darauf, dass das Einparteiensystem des Landes am besten geeignet sei, die Krankheit zu bekämpfen, und dass die chinesischen Impfstoffe den westlichen überlegen seien. "Deshalb dürfte es die Sorge vor einem Gesichtsverlust geben, wenn er nun doch Biontech-Impfstoff einführen würde", sagt ein EU-Diplomat. "Chinas Impf-Nationalismus ist eng mit Xis Stolz verbunden. Und die Annahme westlicher Hilfe würde Xi nicht nur in Verlegenheit bringen, sondern auch sein oft propagiertes Bild von der Überlegenheit des chinesischen Regierungsmodells durchkreuzen", betonte auch Craig Singleton, stellvertretender Direktor des China-Programms bei der Foundation for Defense of Democracies. Peking erklärt deshalb, dass es die Epidemie dank "institutioneller Vorteile" auch ohne ausländische Hilfe bewältigen könne. Noch ist die geschätzte Zahl der Covid-Toten in China deutlich niedriger als die 1,1 Millionen Todesfälle in den USA und die 2,1 Millionen in Europa - nur könnte sich dies wegen der geringen Impfquote und der schlechteren Wirksamkeit der chinesischen Impfstoffe nun schnell ändern.
Wegen dieser Sensibilitäten machen westliche Regierungen nur vorsichtige Avancen. "Wir sind bereit, jedem Land der Welt mit Impfstoffen, Behandlungen und allem anderen, was wir tun können, zu helfen", betont der Koordinator für die Bekämpfung des Coronavirus im Weißen Haus, Dr. Ashish Jha. Während der Impfstoff von Biontech kommen würde, hatte der US-Arzneimittelhersteller Pfizer vergangene Woche eine Vereinbarung getroffen, sein antivirales Covid-Mittel Paxlovid über ein lokales Unternehmen nach China zu exportieren. "Ob China fragt oder nicht, als Bürger Pekings begrüße ich die Haltung der US-Regierung", schrieb Hu Xijin, ehemaliger Herausgeber des Parteiblattes "Global Times", auf Twitter. Aber Hilfe aus den USA anzunehmen, dürfte Peking angesichts der verstärkten Rivalität der beiden Länder noch schwerer fallen.
Nur ändert dies nichts an der wohl dramatischen Situation: "Was macht man bei einem Hurrikan der Kategorie 5, wenn er anderthalb Stunden vor der Küste steht? Wenn man bis dahin nichts getan hat, ist es zu spät", sagte Michael Osterholm, Direktor des Zentrums für Forschung und Politik im Bereich Infektionskrankheiten an der Universität von Minnesota. "Diese Pandemie wird in den nächsten Wochen einfach über China hereinbrechen", glaubt er. "Ende Januar werden wir wissen, wie schlimm die Lage wirklich ist", meint auch ein europäischer Regierungsvertreter mit Hinweis darauf, dass sich schwere Verläufe der Krankheit erst zeitversetzt zeigen.
Das Problem: Mehr als 160 Millionen Menschen in China litten an Diabetes und acht Millionen ungeimpfte Chinesen seien über 80 Jahre alt, sagte Yanzhong Huang, Senior Fellow für globale Gesundheit beim Council on Foreign Relations. Beides sind Risikofaktoren für schwere Covid-Verläufe.
(Bericht von Andreas Rinke; redigiert von Hans Seidenstücker. Bei Rückfragen wenden Sie sich bitte an unsere Redaktion unter berlin.newsroom@thomsonreuters.com (für Politik und Konjunktur) oder frankfurt.newsroom@thomsonreuters.com (für Unternehmen und Märkte).)