Reuters

Nach Ende der Iran-Sanktionen Annäherung im Eiltempo

17.01.2016
um 13:41 Uhr

- von Bozorgmehr Sharafedin und Jonathan Leff

Wien/Berlin (Reuters) - Nach der Aufhebung der Iran-Sanktionen treiben die Führung des jahrelang isolierten Ölstaats und der Westen eine Normalisierung ihrer Wirtschaftsbeziehungen im Eiltempo voran.

Politik und Unternehmen in Europa und den USA hoffen auf milliardenschwere Geschäfte. Das Abkommen zur Beendigung des Atomstreits sei ein Wendepunkt für die iranische Wirtschaft, sagte Präsident Hassan Ruhani am Sonntag. Bundesaußenminister Frank-Walter Steinmeier äußerte die Hoffnung, dass sich mit einer wirtschaftlichen Annäherung auch andere Krisen in der Region entschärfen ließen, etwa der Krieg in Syrien. Als erstes Signal einer über den Atomstreit hinausgehenden politischen Annäherung vereinbarten die USA und der Iran einen Gefangenenaustausch.

Allerdings wurde auch Kritik am Ende der Isolation des Iran laut, der hinter zahlreichen extremistischen Gruppierungen im Nahen und Mittleren Osten steht und Hauptverbündeter des syrischen Machthabers Baschar al-Assad ist. Iran habe seine Ambitionen auf Atomwaffen nicht aufgegeben und versuche weiter, den Nahen Osten zu destabilisieren, erklärte der israelische Regierungschef Benjamin Netanjahu. Auch Sorgen vor einem weiteren Verfall der Ölpreise im Zuge einer Produktionsanhebung im Iran und einer damit einhergehenden Belastung der Finanzmärkte wurden laut.

"GOLDENE SEITE" IM GESCHICHTSBUCH DES IRAN

Ruhani sprach vor dem Parlament in Teheran von "einer goldenen Seite" in Irans Geschichte. "Das Atomabkommen ist eine Gelegenheit, die wir nutzen sollten zur Entwicklung des Landes, zur Verbesserung des Wohlstands der Nation und um Stabilität und Sicherheit in der Region zu schaffen." Über Twitter erklärte er: "Die iranische Wirtschaft ist nun frei von den Ketten der Sanktionen und es ist an der Zeit, zu bauen und zu wachsen."

Mit dem Iran kehrt die größte Volkswirtschaft seit dem Zusammenbruch der Sowjetunion vor mehr als zwei Jahrzehnten auf die internationale Handelsbühne zurück. Die Internationale Atomenergiebehörde (IAEA) hatte am Samstag in Wien dem Iran bescheinigt, alle Verpflichtungen des Atom-Abkommens vom vergangenen Juli erfüllt zu haben. Die USA und die Europäische Union heben daher ihre Finanz- und Wirtschaftssanktionen auf. Der Iran kann nun unter anderem wieder Öl am Weltmarkt verkaufen und Flughäfen in der EU anfliegen. Zudem werden milliardenschwere, im Ausland eingefrorene Vermögen freigegeben. Unternehmen weltweit wittern gute Chancen auf Geschäfte, die wegen der Sanktionen über Jahre nicht möglich waren.

Allein für deutsche Firmen hält der Deutsche Industrie- und Handelskammertag (DIHK) mittelfristig fünf Milliarden und langfristig zehn Milliarden Euro Exportvolumen für realistisch. Nachholbedarf gebe es im Iran im Maschinen- und Fahrzeugbau, im Wassermanagement, der Abfallwirtschaft, im Gesundheitswesen, bei Baustoffen und erneuerbaren Energien.[nL8N14Z2TM] Einen ersten Großauftrag kündigte der Iran noch am Samstag an: Beim europäischen Flugzeughersteller Airbus sollen laut Agentur Tasnim 114 Passagiermaschinen bestellt werden. Gemäß Preisliste wäre das ein Auftragsvolumen von mehr als zehn Milliarden Euro.

ÖLPREIS IM FOKUS

Unklar war die Auswirkung auf den seit Monaten gebeutelten Ölpreis. Ruhani plädierte dafür, die Abhängigkeit seines Landes von dem Rohstoff zu reduzieren. Vorerst dürfte Öl aber eine zentrale Einnahmequelle des Landes bleiben - trotz der derzeit niedrigen Preise. Das Ölministerium kündigte denn auch laut Nachrichtenagentur Shana an, mit Aufhebung der Exportschranken die tägliche Produktion um 500.000 Barrel pro Tag anzuheben. Die Aussicht auf mehr iranisches Öl hatte zuletzt mit zum dramatischen Fall der Ölpreise im Zuge der ohnehin allgemeinen Überproduktion beigetragen. Am Freitag kostete ein Fass (159 Liter) der US-Sorte WTI mit unter 30 Dollar so wenig, wie seit zwölf Jahren nicht mehr. Mitte 2014 mussten noch mehr als 100 Dollar gezahlt werden.

Womöglich werde es am Montag mit den Preisen zunächst noch weiter nach unten gehen, sagte Energieexperte Amrita Sen von der Beratergesellschaft Energy Aspects. Allerdings dürfte der Markt nicht überrascht von dem Ende der Sanktionen sein. Die Auswirkungen würden sich daher wohl in Grenzen halten.

Steinmeier erklärte, mit der wirtschaftlichen Annäherung sei die Chance verbunden, dass die Beziehungen zwischen dem Iran und der Welt "insgesamt in eine neue Phase treten", auch wenn andere Konflikte weiter schwelten. Er hoffe, dass sich andere Krisen entschärfen ließen, vor allem der Bürgerkrieg in Syrien. Dort spielen der schiitische Iran und der regionale Erzrivale, das sunnitische Königreich Saudi-Arabien, wie im Jemen Schlüsselrollen auf unterschiedlichen Seiten des Konflikts.

Bundeswirtschaftsminister Sigmar Gabriel erklärte, die Wiederbelebung der deutsch-iranischen Wirtschafts- und speziell auch der Finanzbeziehungen sei zwar ein langfristiger Prozess. Doch es eröffne sich die Möglichkeit, ein neues Kapitel aufzuschlagen. Der Verband der deutschen Maschinen- und Anlagenbauer (VDMA) erklärte, Industrie und Banken seien jetzt gefordert. Um die Chancen im Iran zu nutzen, gelte es, Hürden wie etwa den Zahlungsverkehr und die Finanzierung durch die Banken zu überwinden. Bislang seien die Kreditinstitute sogar davor zurückgeschreckt, völlig legale Transaktionen mit dem Iran abzuwickeln. Nun müssten sich die Banken aber bewegen.

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