Reuters

Boeing in der Vertrauenskrise - Chef sieht "ernste Herausforderung"

31.01.2024
um 18:22 Uhr

Washington/Bangalore (Reuters) - US-Flugzeugbauer im Ausnahmezustand - Boeing-Chef Dave Calhoun spricht nach dem Debakel mit einer Alaska-Air-Maschine von einer "ernsten Herausforderung".

Der Flugzeugbauer müsse wieder unter Beweis stellen, dass er das Vertrauen von Kunden und Aufsichtsbehörden verdiene, erklärte er am Mittwoch zur Veröffentlichung der Bilanz für 2023. Boeing verzichtete auf eine Prognose für Gewinn und Produktion für das laufende Jahr - zuallererst gehe es darum, Flugzeuge in guter Qualität auszuliefern. "Wir werden nichts überstürzen und nehmen uns Zeit, um alles richtig zu machen", schrieb der Konzernchef an die Belegschaft. "Der Vorfall (bei Alaska Air) macht klar, dass wir noch viel Arbeit vor uns haben."

Anfang Januar war bei einem Boeing-737-MAX-9-Flugzeug von Alaska Airlines kurz nach dem Start in Portland in knapp fünf Kilometern Höhe ein Teil der Kabinenwand herausgefallen, hinter der sich der Notausgang befindet. Das hat sich zu einer neuen Sicherheits- und Vertrauenskrise entwickelt, nachdem der Airbus-Rivale gerade dabei war, sich von den zwei tödlichen Abstürzen der 737 MAX in den Jahren 2018 und 2019 und von der Nachfrageflaute in der Corona-Krise zu erholen. Die US-Luftfahrtbehörde FAA hat Boeing nach dem Vorfall bei Alaska Air verboten, die Produktion der 737 MAX wie geplant auf 50 von derzeit 38 Maschinen im Monat nach oben zu schrauben, und will dem Unternehmen genauer auf die Finger schauen.

Damit droht der US-Flugzeugbauer zumindest bei Kurz- und Mittelstrecken-Flugzeugen noch mehr Boden auf den Erzrivalen Airbus zu verlieren. Der französisch-deutsche Konzern hat Boeing bei den Auslieferungen 2023 zum fünften Mal in Folge abgehängt und ist dabei, die Produktion des 737-MAX-Konkurrenzmodells A320neo von 50 bis auf 75 Flugzeuge im Monat nach oben zu schrauben.

QUALITÄTSPROBLEME MÜSSEN GELÖST WERDEN

Calhoun bekräftigte, bei der Boeing 737 MAX zusätzliche Qualitäts-Checks einzuführen und ein Team zum Zulieferer Spirit Aerosystems zu entsenden, der für die Produktion und den Einbau der fraglichen Tür zuständig ist. "Wir werden auf Input der 737-Mitarbeiter hören, die das jeden Tag machen", versprach Calhoun. Boeing müsse sicherstellen, dass es nie wieder ein Qualitätsproblem gebe, sagte der Vorstandschef dem Sender CNBC. Die Art der Zusammenarbeit mit den Lieferanten werde Boeing noch lange beschäftigen.

Die Zahlen für das abgelaufene Jahr traten demgegenüber in den Hintergrund. Der Umsatz stieg im vierten Quartal um zehn Prozent auf 22,0 Milliarden Dollar, fast eine Milliarde mehr als Experten Boeing im Vorfeld zugetraut hatten. Der Flugzeugbauer reduzierte den bereinigten Verlust auf 0,47 (1,75) Dollar je Aktie und damit stärker als gedacht. Im Gesamtjahr stand ein Umsatzplus von 17 Prozent auf 77,8 Milliarden Dollar zu Buche. Mit 2,24 (2022: 5,05) Milliarden Dollar schrieb Boeing unter dem Strich immer noch tiefrote Zahlen, der Verlust war aber weniger als halb so groß wie ein Jahr zuvor. Der Flugzeugbauer sitzt auf einem Auftragsbuch von 520 Milliarden Dollar, davon entfallen 441 Milliarden auf mehr als 5600 bestellte Verkehrsflugzeuge.

Der operative Mittelzufluss (Free Cash-flow) lag mit 4,43 Milliarden Dollar 2023 im Rahmen der Zielspanne von drei bis fünf Milliarden. Im November hatte Calhoun eigentlich rund zehn Milliarden Dollar Cash-flow bis 2026 in Aussicht gestellt. Ob das angesichts der neuen Probleme zu halten ist, ist offen. Die Boeing-Aktien, die seit Jahresanfang knapp 20 Prozent an Wert verloren haben, lagen mit 3,5 Prozent im Plus.

(Bericht von Valerie Insinna und Abhijith Ganapavaram; Geschrieben von Alexander Hübner; redigiert von Sabine Wollrab. Bei Rückfragen wenden Sie sich bitte an unsere Redaktion unter berlin.newsroom@thomsonreuters.com (für Politik und Konjunktur) oder frankfurt.newsroom@thomsonreuters.com (für Unternehmen und Märkte).)

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